Radreise von Berlin nach Danzig

September 2015

(5) An der Danziger Bucht
Von Wladyslawowo (Großendorf) bis Gdansk (Danzig)

9.Tag: Wladyslawowo (Großendorf) - Hel (Hela) – Gdansk (Danzig)
Mittwoch 23. September
Übernachtung Hotel Novotel Danzig 

Die Strecke:
Wladyslawowo  (Großendorf) –  Halbinsel Hela (Hel) –  Chalupy (Ceynowa) - Jastarni Heisternest) – Hel (Hela) – Gdynia (Gdingen) – Sopot (Zopot) – Gdansk (Danzig)
76 Kilometer


Der letzte Rad-Tag führte zunächst auf die Halbinsel Hela (Hel), eine 34 km lange Landzunge, die die Danziger Bucht teilweise von der Ostsee trennt. Immer geradeaus, etwas langweilig, dafür Wind von vorn. Auffällig sind hier, aber auch vorher im östlichen Teil Polens, die Hinweisschilder auf Orte des polnischen Widerstades im 2. Weltkrieg. Das wird hier sehr gepflegt.

Der Ort Hel 
liegt Ende der Nehrung und ist ein kleiner Fischereihafen mit Fähren nach Danzig (im Sommer) und  Gdingen (in der Nachsaison eine Verbindung am Tag) und einem Leuchtturm mit 190 Stufen (habe ich beim Hinaufsteigen  gezählt). Es gibt auch eine Robben-Forschungs- und  Aufzuchtstation der Universität  Danzig.

Die Halbinsel Hel 
ist eine Nehrung, an manchen Stellen nur 200 m breit (bis 3 km).  Die Nehrung entstand aus einer Kette von kleinen Inseln, die sich hier bis zum 18. Jahrhundert befanden. Nach und nach schlossen sich durch die Strömung die Lücken zwischen den Inseln mit  Dünen.  Im Gegensatz zur Frischen Nehrung (östl. von Danzig, heute Polen und Russland) und zur Kurischen Nehrung (heute Teil Litauen  und Russland) war aber die dahinter liegende Danziger Bucht zu groß, als dass sie wie ein Haff vollständig von der Ostsee hätte abgetrennt werden können.

Hela war zum Ende des 2. Weltkriegs die letzte Möglichkeit für die Evakuierung militärischer Einheiten, Verwundeter und Zivilflüchtlinge auf dem Seeweg. Daher flohen bereits im März 1945  über 100.000 deutsche Zivilisten nach Hela, im April kamen weitere 265.000 hinzu. Flüchtlinge und Soldaten lagerten in den Wäldern und Dünen von Hel unvorstellbar dicht zusammengedrängt. Laufende sowjetische Luftangriffe forderten zahlreiche Todesopfer und erschwerten auch die Schiffstransporte.  Trotzdem konnten allein im Monat April 387.000 Menschen von Hela evakuiert werden.

Vom Hafen Hel (Hela) aus bin ich mit der Fähre nach Gdyna (Gdingen)  übergesetzt und von hier mit dem Fahrrad über Sopot (Zopot) nach Gdansk (Danzig) weitergefahren.  Sopot, die „Sommer-Hauptstadt Polens“ mit internationalem Publikum, ist wohl der eleganteste Bade- und Kurort an der polnischen Ostseeküste.

Die Ankunft im  Hotel Novotel Gdansk Centrum in Danzig war spät,  weil  ich in Hel  3 Stunden auf die Fähre (es war die einzige am Tag) warten musste. Außerdem war ich in Gdingen im Feierabendverkehr zunächst in die falsche Richtung (Richtung Stettin) gefahren und musste wieder zurück. 

Auf der ganzen Reise habe ich mich nur zweimal verfahren. Dank meines Garmin-GPS und des Herunterladens der Strecke durch unseren Neffen Andreas (Großer Dank an dieser Stelle). Ohne das GPS-Gerät hätte ich die Reise nach zwei Tagen abbrechen dürfen. Allein mit der Radreise-Buch-Beschreibung und der Ausschilderung des Europäischen Radweges R 10 wäre ich nicht klar gekommen. Das erste Mal hatte ich mich im Slowinski-Naturschutzgebiet  vor Leba verfahren. Nach einer Weile hatte ich den Eindruck, den Weg zu kennen. Der Eindruck bestätigte sich, als ich eine der wenigen Ausschilderungen (wieder) sah. Da, wo ich hin wollte, kam ich her. Was also machen? Weiterfahren bis zu einem Bauernhof, den ich auf der Strecke in Erinnerung hatte. Dort gefragt – mit Karte und Händen - . Ich war richtig, musste an der nächsten Waldweg-Kreuzung nur nach links und nicht nach rechts abbiegen.

Gdingen, Zopot und Danzig bilden die sog. Dreistadt
Gdynia (Gdingen), Sopot (Zopot) und Gdansk (Danzig) bilden eine sog. Dreistadt mit über 750.000 Einwohnern.  Gdingen hat 250.000 Einwohner.

Gdynia (Gdingen)
1920 lebten in Gdingen nur etwas über 1000 Menschen. Den Aufschwung nahm die Region durch den Ausbau des Hafens 1920 – 1936 durch Polen und durch die Festlegung des Polnischen Korridors nach dem 1. Weltkrieg, der Polen einen  Zugang zum Meer sichern sollte (Zweite Republik Polen).
Ab 1939 hieß die Stadt Gotenhafen und war wichtiger Marinestützpunkt. Zum Ende des 2. Weltkriegs zogen viele Flüchtlinge zu den Häfen in der Hoffnung, von dort mit Schiffen vor den sowjetischen Truppen fliehen zu können. Doch der Oberbefehlshaber der Marine Karl Dönitz gewährte für Flüchtlinge nur 20 % des Frachtraums, je 40 % dienten dem Abtransport von Kriegsgerät und Verwundeten. Erst am 9. April erhöhte er den Anteil für Flüchtlinge am Frachtraum auf 40 %, nicht etwa zu Lasten des Kriegsgeräts, sondern zu Lasten der Verwundeten.
Von Gotenhafen lief die Wilhelm Gustloff aus (s. Stolpmünde).

Sopot (Zopot)
Sopot (Zopot)  hat eine der längsten Seebrücke Europas mit  über 512 m Länge. Von 1920 bis 1939 gehörte es zum Freistaat Danzig.
Als Folge des 1. Weltkriegs wurde der Freistaat Danzig  durch den Versailler Vertrag begründet, mit eigener autonomer Verwaltung unter Regie eines vom Völkerbund ernannten Hochkommissars.  Außenpolitisch wurde der Freistaat von Polen vertreten, es gehörte zum polnischen Zollgebiet und der Hafen war durch Polen frei nutzbar. Die Post war polnisch.   97 % der Einwohner des Freistaates waren aber Deutsche.
In Sopot wurde Klaus Kinski als Klaus Günter Nakszynski geboren.    
Erwähnenswert ist das Grand Hotel, von 1927,  als Kasinohotel erbaut.

Gdansk (Danzig)
Danzig hat über 460.000 Einwohner. Im gesamten städtisch geprägten Ballungsraum Danzig  leben mehr als 1,2 Millionen Menschen.
Im 2. Weltkrieg wurde die Stadt zu über 50 % durch Luftrangriffe, Artillerie und Straßenkämpfe zerstört, aber auch durch  Plünderung und Brandschatzung nach der „Befreiung“ durch die Rote Armee.Günter Grass
ist hier 1927 als Günter Wilhelm Graß geboren.

 

Mit der Ostsee verbindet man Bernstein. Doch die großen Fundstellen sind im heute sowjetischen Teil der Ostseeküste. Danzig war und ist bedeutend für die Bernstein-Schmuckbearbeitung.

 

Exkurs: Bernstein

Das berühmteste Kunstobjekt
aus Bernstein war das Bernsteinzimmer,  ein im Auftrag des ersten Preußenkönigs,  Friedrich I., gefertigter Raum mit Wand-verkleidungen und Möbeln aus Bernsteinelementen. Es  wurde im Berliner Stadtschloss eingebaut. Ursprünglich war es für das Charlottenburger Schloss geplant. Entworfen wurde es von dem Architekten und Bildhauer Andreas Schlüter. Begonnen wurden die Arbeiten etwa 1701 in Königsberg, ab 1706 wurden die Arbeiten von Danziger Bernsteinmeistern fortgeführt (sie waren preiswerter, was wohl auch für den König wichtig war).  

1716 wurde es vom preußischen König Friedrich Wilhelm I.  dem russischen Zar Peter der Große geschenkt. Die Zaren-Tochter Elisabeth ließ das Zimmer erweitern und zunächst in St. Petersburg im Winterpalast einbauen, später im Katharinenpalast in Puschkin, südlich von St. Petersburg. Fast zwei Jahrhunderte lang befand es sich im Katharinenpalast bei St. Petersburg.

Seit dem 2. Weltkrieg ist es verschollen. In den Jahren 1979 bis 2003 haben russische Spezialisten im Katharinenpalast das für die Öffentlichkeit wieder zugängliche Bernsteinzimmer mit Bernstein aus dem Kaliningrader (Königsberger) Gebiet detailgetreu rekonstruiert, nachdem bis dahin unbekannte Fotografien gefunden worden waren.

Bernstein
ist ein klarer bis undurchsichtiger, gelber Schmuckstein aus fossilem Harz mit der Bezeichnung Succinit, auch Baltischer Bernstein. Er kann leicht angezündet werden (Bernstein, der nicht brennt oder schmort ist Kunststoff). Bereits in Zeit wird Bernstein als Schmuck und für  Kunstgegenstände genutzt. Einige in Ägypten gefundene Objekte sind z. B. mehr als 6000 Jahre alt.     

Die bekannteste Fundregion von Bernstein in Europa ist der südöstliche Ostseeraum, insbesondere die Halbinsel Samland (Kaliningrader Gebiet, Russland) zwischen Frischem und Kurischem Haff Die reichste und auch heute noch wirtschaftlich genutzte Fundschicht, die sogenannte „Blaue Erde“, wurde im Obereozän vor etwa 35 Millionen Jahren abgelagert.

Neben der Ostsee gibt es weltweit weitere Fundstellen, z.B. Mähren, Ukraine, Rumänien, Schweiz, Österreich, Frankreich, Spanien, aber auch Afrika und Amerika.

In Danzig habe ich mich mit meiner Frau getroffen, die mit dem Zug angereist war. Gemeinsam haben wir die nächsten drei Tage Danzig erkundet, sind zur Marienburg, zur  Westerplatte und zum Dom Oliwa gefahren.

Spaziergang durch Danzig

Die Altstadt besteht aus den beiden Teilen "Rechtstadt" ( Główne Miasto) und  "Altstadt"  (Stare Miasto).

Der Name Rechtstadt leitet sich nicht aus der Lage, sondern aus dem Rechtstatus der Stadt ab. Sie wurde 1225  mit Lübischem Recht ausgestattet, in dem die Selbstverwaltung der deutschen Hanse-Kaufleute festgeschrieben war. Später wurde unter dem Einfluss des Deutschordens das Kulmer Recht eingeführt.

Die Danziger Altstadt wurde nach der Rechtstadt gegründet und bekam erst 1370 das Stadtrecht.  Es waren ursprünglich getrennte Städte.

Daneben gab es noch die Jungstadt (1380 gegründet bis 1454, danach zur Rechtstadt gehörend), unter starkem Einfluss des Deutschordens,  und die Speicherstadt.
Die Rechtstadt war von unserem Hotel leicht zu Fuß erreichbar. Der Eindruck beim Bummel über die Hauptstraße Langer Markt (Długi Targ) ist insbesondere am Abend schön. Sie verbindet den Kohlenmarkt (Targ Weglowy) mit dem Flüsschen Mottlau (Stare Mottlawa) und wird am Anfang und am Ende von zwei prächtigen, wuchtigen Torbauwerken abgegrenzt. Das Goldene Tor (Złota Brama) und das Grüne Tor (Zielona Brama) sind wie der gesamte Lange Markt bemerkenswerte Beispiele der polnischen Restaurateure (die die kriegszerstörte Altstadt wieder aufbauten).
Ein weiterer Höhepunkt ist die Frauengasse (Ulica Mariacka) mit den reichhaltig dekorierten. terrassenartigen Vorbauten der Häuser (genannt Beischläge). Große Teile der Buddenbrook-Verfilmung (nach dem Buch von Thomas Mann, Regisseur Franz Peter Wirth) wurden hier und nicht in Lübeck gedreht. 

Von der Frauengasse kommt man durch das Frauentor und nach wenigen Metern zum weltberühmten Krantor. Auf dem 
kurzen Weg kommt man an vielen kleinen, aber feinen Gasthäusern vorbei u.a. dem Storch und dem Goldwasser, Heimat des Danziger Goldwassers (ein milder Schnaps mit echten Blattgoldflittern drin). 

Man beachte auch die herrlichen Türen im ganzen Altstadtbereich. 

Die Große Mühle (Wielki Mlyn) ist ganz in der Nähe und  ganz aus Backsteinen erbaut (1350). Sie war 600 Jahre lang eine der größten Profanbauten im Mittelalter. 

Die Marienkirche (Kosciol Mariacki)  ist die größte mittelalterliche Backsteinkirche der Welt. Der Bau begann 1343 und dauerte über 150 Jahre. Den Turm stockte man auf eine Höhe von 82 Metern auf. In der Kirche selbst befindet sich, neben den vielen anderen Kunstwerken, eine besondere Sehenswürdigkeit: die Astronomische Uhr, gebaut zwischen 1464 und 1470 von Hans Düringer 
(Uhrmachermeister aus Nürnberg, auch das Uhrwerk des Straßburger Münster stammt von ihm). Sie ist nicht mehr im Original erhalten, rekonstruiert.  Außer der Uhrzeit gibt sie Auskunft über Datum, Feiertage und Mondphasen.

Sehenswürdigkeiten in der Rechtstadt von Danzig

Das Krantor. Stadttor mit Kranfunktion. 1363 als Holzkran gebaut, nach Brand 1442/44 in seiner jetzigen Form errichtet, am Ende des 2. Weltkriegs teilweise zerstört, 1957/59 rekonstruiert. Mit dem Trierer Alten Krahnen von 1413 gehört das Krantor zu den ältesten Hebeeinrichtungen dieser Art im (ehemals) deutschsprachigen Raum.
Das grüne Tor
Stockturm und Peinkammer
Das Hohe Tor
Das Goldene Tor oder das Langgasser Tor
Das Große Zeughaus, 1600 – 1609 erbaut, das als Waffenarsenal diente, ist das beste Beispiel für den flämischen Manierismus (Übergang von Renaissance zu Barock) in Danzig. 
Der Artushof (Dwor Artus).  Das Gebäude, 1481 eröffnet, diente als Treffpunkt reicher Kaufleute und Adliger, die sich in sieben örtlichen Brüderschaften zusammenschlossen. Bis heute erinnert eine Biertheke an den Bierausschank zu dieser Zeit. Ein literarisches Denkmal hat E. T. A. Hoffmann dem Gebäude in seiner Erzählung „Der Artushofgesetzt.
Die Marienkircheeine der größten Backsteinkirchen der Welt. Es finden bis zu 25.000 Menschen Platz. Grundsteinlegung 1343 und Fertigstellung 1502 . Der Wiederaufbau begann 1946, die Weihe der Kirche war 1955. Astronomische Uhr,
Die Nikolaikirche (Dominikanerkirche)
Das Rechtstädtische Rathaus im Stadtteil Rechtstadt.  Die Rechtstadt  ist das eigentliche Stadtzentrum und älter als die Danziger Altstadt mit dem Altstädtischen Rathaus, administrativ und auch baulich getrennte Städte mit unterschiedlichen Rechtssystemen direkt nebeneinander. Die wichtigsten Sehenswürdigkeiten Danzigs befinden sich in der Rechtstadt,
Die Georgshalle, der Schützenbrüderschaft. Die Danziger Schützen-bruderschaft wurde im Mittelalter gegründet. Sie bestand bis 1798.
Die Danziger Bürgerhäuser
Die Langgasse (ulica Długa) und Langer Markt (Dlugi Targ)
Die Frauengasse (ulica Mariacka)
Das Neues Rathaus (Nowy Rathusz)

Sehenswürdigkeiten in der Altstadt von Danzig

Nach der vollkommenen Zerstörung im 2. Weltkrieg wurde die Altstadt schnell, lieblos und unschön hochgezogen und hat daher nur wenige Sehenswürdigkeiten.
Das Alte Rathuas der Altstadt, 1595 erbaut, im Stil des niederländischen Manierismus (Übergangsform zwischen Renaissance und Barock)
Die Katharinenkirche
Die große Mühle
Die Speicherinsel
Das Polnisches Postamt (Symbol des Widerstands 1939)