Zu Gerhart Hauptmann und den Schlössern im Hirschberger Tal

Eine Fahrrad- und Wanderreise in das Hirschberger Tal und das Riesengebirge in Niederschlesien und Böhmen.  

Vom 9. bis 21. August 2022
   
  Hirschberger Tal:    polnisch Kotlina Jeleniogórska
   Riesengebirge:         polnisch Karkonosze, tschechisch Krkonoše
   Niederschlesien:      polnisch Dolny Śląsk  
   Böhmen:                    tschechisch Čechy

Schon 2020 wollte ich in das Hirschberger Tal und das Riesengebirge. Die Planung war fertig, die Hotels gebucht. Dann kam die Corona-Pandemie und ich musste die Reise nach Polen streichen. Der Ersatz war eine Ostsee-Radtour (siehe: Ostsee Radtour 2020 - Link zum Bericht). Im darauffolgenden Jahr sind Eva und Eckhard und ich über die Alpen gewandert (siehe: Zu Fuß durch die Alpen 2o21 - Link zum Bericht), in Erinnerung an unsere Fahrradtour über die Alpen davor ( siehe: Radreise Verona 2017 - Link zum Bericht).

Jetzt habe ich die geplante Schlesienfahrt nachgeholt. 

Geplant habe ich die Fahrrad- und Wandertouren mit der Komoot-App. Dabei habe ich mich weniger an vorgegebene Rad- oder Wanderrouten gehalten. Vielmehr habe ich die Wege entsprechend interessanten Sehenswürdigkeiten und Zielen festgelegt. Ich wollte die Schlösser im Hirschberger Tal sehen und im Riesengebirge zur Schneekoppe und zur Elbequelle. Daraus sind mehrere Radfahrten quer durch das Hirschberger Tal und eine Drei-Tage-Wandertour von Krummhübel aus entstanden.

Es war eine kombinierte Fahrrad- und Wandertour im Hirschberger Tal und im angrenzenden Riesengebirge. Ich war schon einmal mit dem Fahrrad nach Schlesien gefahren. Damals nach Löwenberg. Meine Mutter stammt aus Niederschlesien, aus dem Dorf Plagwitz bei Löwenberg. Hirschberg liegt etwa 50 km südlich von Löwenberg. 

Plagwitz und die Kreisstadt Löwenberg, die eine der ersten deutschen Orte der Ostbesiedlung des 12. Jahrhunderts ist, war das Ziel einer meiner ersten Fahrradtouren. Davor war ich mit meiner Mutter dort und später dann auch mit meinem Bruder. Im Riesengebirge war ich mit Salzgitteraner Freunden.

Bei meiner ersten Radtour nach Schlesien war ich von Görlitz über Lauban fast auf einer geraden West-Ost-Linie nach Löwenberg gefahren. Diesmal hatte ich von Görlitz ausgehend (von und bis Görlitz mit dem Zug) einen Weg gewählt, der am nördlichen Rand der Sudeten-Gebirgskette (Isergebirge und Riesengebirge) entlang nach Hirschberg führt. 

Oberlausitzer Bibliothek der Wissenschaften in Görlitz

Von Hirschberg aus habe ich in drei Tages-Radtouren das Hirschberger Tal erkundet.  Die erste Rundfahrt führte zu den Schlössern des Adels und der Schleierherren im Hirschberger Tal. Daran schloss sich eine Tagesfahrt in Erinnerung an Gerhart Hauptmann an, den großen schlesischen Schriftsteller, der in Agnetendorf im Riesengebirge gewohnt hat. Bei der dritten Rundtour war ich in dem seit dem 13. Jahrhundert bekannten Heilbad Warmbrunn bei Hirschberg und in Stonsdorf, dem Ursprung des Kräuterschnapses „Echt Stonsdorfer“. 

Schloss Schildau (Wojanow) im Hirschberger Tal

Nach einem ruhigen Tag mit einer Stadtbesichtigung Hirschbergs bin ich mit dem Rad hinauf nach Krummhübel gefahren. Es folgten drei Wandertage im Riesengebirge. Von Krummhübel mit der Seilbahn bis zur Bergstation am Schlesierhaus. Wanderung hinauf zur Schneekoppe (höchster Berg im Riesengebirge), zurück zum Schlesierhaus und hinunter nach Spindlermühle im tschechischen Teil des Riesengebirges. Übernachtung. Von dort zur Elbequelle, hinauf auf den Kammweg des Riesengebirges und auf dem Kammweg bis zum Spindlerpass. Übernachtung. Wanderung weiter auf dem Kammweg und dann im Tal der Lomnitz zurück nach Krummhübel. 

Die symbolische Elbequelle

Für die Fahrrad-Rückfahrt nach Görlitz hatte ich eine Strecke südlich der Sudeten und dann im Isergebirge gewählt, auf der ich über Schreiberhau und den Neuweltpass (zwischen Riesengebirge und Isergebirge) auf die tschechische Seite wechseln wollte,  bis nach Bad Liebwerder, und dann am nächsten Tag über Friedland Richtung Görlitz fahren wollte. Wollte. Ich habe vor der Rückfahrt umgeplant und habe das Isergebirge teilweise südlich umfahren. Dazu mehr im späteren Abschnitt.


Das Hirschberger Tal

Das schlesische Elysium wurde es genannt“, so der Deutschlandfunk in einem Beitrag von 2009. Und weiter: „Und tatsächlich hat das Hirschberger Tal im Südwesten Polens viel Paradiesisches zu bieten. Da ist das Tal an sich mit seinen malerischen Hügeln, Flüssen und Dörfern vor der mächtigen Kulisse des Riesengebirges. Im 19. Jahrhundert zog es den preußischen Adel dort hin. So ließen sich Grafen, Prinzen und Generäle prächtige Sommerresidenzen errichten. Die Architekten Friedrich Schinkel und Friedrich August Stüler hinterließen ihre Spuren, der Preußische Gartendirektor Peter Joseph Lenné entwarf weitläufige Parkanlagen. So entstand im Hirschberger Tal die höchste Schlösserdichte in Europa. Dichter, Künstler und Kulturreisende wie Caspar David Friedrich, Johann Wolfgang von Goethe, selbst der spätere Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika Quincy Adams waren von der romantischen Stimmung des Tals hingerissen.“ Ich kann diese Eindrücke bestätigen.

Das Hirschberger Tal ist Teil des Sudeten-Gebirges. Der 310 km lange Sudeten-Gebirgszug liegt zwischen dem Erzgebirge (im Westen) und den Karpaten (im Osten). Er gehört in einem kleinen, westlichen Bereich zu Deutschland (nur das Zittauer Gebirge), im nördlichen Bereich zu Polen (Schlesien) und im südlichen Teil zu Tschechien (Böhmen). Das Erzgebirge und die Sudeten bilden die nördliche Grenze des böhmischen Beckens. 

Die Sudeten sind etwas höher (100 Meter) als das höchste deutsche Mittelgebirge, der Schwarzwald. Bis 1945 und der Abtrennung Schlesiens waren die Sudeten das höchste deutsche Mittelgebirge. 

Der höchste Teil der Sudeten ist das Riesengebirge, das mit dem Isergebirge die Westsudeten bildet. Die höchste Erhebung ist hier die 1603 Meter hohe Schneekoppe.  Die höheren Lagen (1250 – 1350 Meter, Baumgrenze) haben eine subalpine Vegetation mit Graswiesen, Knieholzwuchs, Hochmooren. Die Hoch- und Gipfellagen sind auf der polnischen und tschechischen Seite geschützte Nationalparks. Ein erstes Schutzgebiet war ab 1904 der Elbgrund (Elbequelle und Elbfälle), das Johann Graf von Harrach zum Naturschutzgebiet erklärte. 

Frühe Bezeichnungen für das Riesengebirge waren „Schneegebirge“ oder „Böhmisches Gebirge“, bis sich Anfang des 18. Jahrhunderts der Name „Riesengebirge“ durchsetzte. Dabei ist „Riesen“ nicht von der Größe des Gebirges abgeleitet, sondern von den rutschbahnartigen hölzernen Rinnen zum Abtransport von Baumstämmen in den steilen Gebirgstälern, den „Riesen“.

Der Talkessel des Hirschberger Tals liegt nördlich des Riesengebirges, im Westen von den Vorbergen des Isergebirges begrenzt, im Norden ist das Bober-Katzbach-Gebirge, im Osten der Landshuter Kamm. Das Tal selbst ist durch zahlreiche Hügelketten und Flusstäler gegliedert. 

Durch das Hirschberger Tal fließen der Bober/Bobr (Quelle bei den südöstlichen Ausläufern des Riesengebirges) und seine Zuflüsse Lomnitz/Lomnica und Zacken/Kamienna. Der Bober fließt durch die Städte Hirschberg, Löwenberg (Heimat meiner Mutter), Bunzlau und Sagan. Er mündet in die Oder etwa 40 km östlich der Mündung der Lausitzer Neiße in die Oder. 

Bis ins 14. Jh. waren die Flüsse Oder, Bober und Queis (ein  Zufluss des Bober) die Ostgrenze des Heiligen Römischen Reiches. 

Das „südliche Gegenstück“ des Hirschberger Tals ist das Böhmische Becken, das im Norden vom Riesengebirge und im Westen vom Oberpfälzer- und Böhmerwald begrenzt wird. 

Die Stadt Hirschberg ist der Hauptort und Namensgeber des Tales.

  * * *

Die Tagestouren:

1. Tag:    Bahn-Anreise von Berlin nach Görlitz, Nachmittag in Görlitz
2. Tag:    Radtour von Görlitz nach Hirschberg
3. Tag:    Radtour zu den Schlössern im Hirschberger Tal
4. Tag:    Radtour zu Gerhart Hauptmann und dem Glas im Riesengebirge
5. Tag:    Radtour zum Heilbad der Schaffgotsch
                 und ein Spaziergang durch Hirschberg
6. Tag:    Radtour nach Stonsdorf
7. Tag:     Radfahrt nach Krummhübel
8. Tag:    Wanderung zur Schneekoppe und nach Spindlermühle
9. Tag:    Wanderung von Spinlermühle zum Spindlerpass 
10.Tag:   Wanderung vom Spindlerpass zurück nach Krummhübel
11.Tag:    Radfahrt von Krummhübel nach Bad Liebenwerda
12.Tag:    Radfahrt von Bad Liebenwerda nach Görlitz
13.Tag:    Bahn-Rückreise von Görlitz nach Berlin


Vor den Tourenberichten: Ein geschichtlicher Überblick

Schlesisches Piasten-Herzogtum 

Schlesien war in früher Zeit von slawischen Stämmen besiedelt. Im 13. Jahrhundert bildete sich eine neue Bevölkerungsschicht aus Einwanderern aus Thüringen, Obersachsen (östliches Mitteldeutschland), Franken, dem Rhein-Main-Gebiet und Hessen. Die Siedler wurden von den Piastenfürsten als Handwerker, Bauern, Kaufleute und Bergleute in das Land geholt.  Bis etwa 1350 wurden 120 Städte und mehr als 1.200 deutsche Dörfer nach Magdeburger Recht gegründet. Die slawische Bevölkerung wurde assimiliert. Nur in Oberschlesien blieb ein stärkerer slawischer Bevölkerungsanteil. 

Um die erste Jahrtausendwende gehörte Schlesien zum Piasten-Herzogtum und späteren Piasten- Königreich Polen. 

Die Piasten waren eine Herrscherdynastie in Großpolen. Das Herrschaftszentrum lag um die erste Jahrtausendwende im polnischen Gnesen (zur Geschichte Polens s. im Internet-Blog „Sattel und Schuh“ den Beitrag … ).

Der erste christliche Piast war Miezko I., Herzog von Polen, der sich 968 (966?) taufen ließ.  Die polnische Kirche entwickelte sich unabhängig von der deutschen Reichskirche und stand in direkter Verbindung zu Rom. Miezko I. erkannte die Oberhoheit des Römischen Deutschen Kaisers an und schützt sich damit vor der Eroberung durch den sächsischen Markgrafen im Westen seines Reiches. 

Gegen Ende des ersten Jahrtausends wurden die Slowakei, Mähren, Schlesien und Kleinpolen (Gebiete um Krakau und Lublin) von den Piasten erobert. Miezko I. Sohn Boleslaw I. unterstützte Kaiser Otto III. gegen die heidnischen Elbslawen. Der entließ dafür das Herzogtum aus einer seit 963 bestehenden Tributpflicht und er soll auch Boleslaw zum König erhoben haben.

Im Jahr 1.000 gründete Boleslaw I. das Erzbistum Gnesen.

(Die slawische Burg in Berlin-Köpenick auf der heutigen Schlossinsel soll Boleslaw I. angelegt haben. Bis Mitte des 12. Jahrhunderts war Köpenick Sitz eines piastischen Vasallen.) 

Im Römisch-Deutschen-Reich war Otto III. Kaiser (sächsisches Adelsgeschlecht der Luidolfinger). Als König wurde er vom Papst in Rom zum Kaiser gekrönt. Zuvor konnte er einen Verwandten, Bruno von Kärnten, als Papst Gregor V.  einsetzen. In der Zeit wurde der Papst vom römischen Klerus und den römischen Bürgern gewählt, oft beeinflusst vom römischen Stadtadel. 

1138 teilte Bolislaw III. Schiefmund das Königreich Polen unter seinen Söhnen in vier Herzogtümer auf. 

Er führte das Senioratsprinzip ein.  Der älteste Piasten-Herzog war Seniorherzog und zugleich Herzog von Krakau (das 5. Herzogtum). Er sollte die Reichsinsignien bewahren und das Reich zusammenhalten.  Starb er, rückte der nächste erbberechtigte Herzog auf. 1295 wurde Polen dann wieder ein Königreich. 

Ein Erbteil war das Herzogtum Schlesien (Nieder- und Mittelschlesien mit Breslau). Erster Herzog war Wladyslaw II. (1105 – 1114), der die schlesische Linie der Piasten begründete. In der Folgezeit wurde das schlesische Herzogtum durch Erbfolgen mehrfach geteilt. 

Der Sohn Wladyslaws II. holte deutsche Ostsiedler nach Schlesien. Im Rahmen der deutschen Ostkolonisation wurden mehr als 100 neue Städte und mehr als 1.200 Dörfern nach deutschem Recht gegründet. Die Siedler stammten aus vielen Teilen des Reiches (Ostfranken, Sachsen, Thüringen, Hessen).

Vorausgegangen war der Einfall mongolischer Heere (Schlacht bei Liegnitz bzw. Schlacht bei Wahlstatt 1241) und die Verwüstung des Landes. Die slawische Bevölkerung war auf ein Fünftel dezimiert worden.


 Schlesien als Teil der Böhmischen Krone

Die schlesischen (Teil-) Herzogtümer der Piasten (das Herzogtum Schlesien war durch Erbteilung mehrfach aufgeteilt) orientierten sich ab Ende des 13. Jahrhunderts politisch an Böhmen. Sie erkannten den böhmischen König als Lehensherrn an. Das Lehensverhältnis bot Schutz bei Konflikten mit anderen Herrschern. Bis 1372 waren alle schlesischen Herzogtümer Lehen der böhmischen Krone und damit von Böhmen abhängige Vasallen. 

Das Königreich Böhmen war 1085 gegründet worden. Seit 1198 war das Königreich Teil des Heiligen Römischen Reiches. Als Mitglied des Kurfürstenkollegiums waren die böhmischen Könige an der Wahl der römisch-deutschen Könige beteiligt. 

Im Vertrag von Visegrad 1335 verzichtete der polnische Piasten-König Kasimier III.  (die polnischen Piasten-Herzogtümer wurden 1295 mit päpstlicher Erlaubnis wieder ein Königreich) auf Ansprüche der königlichen Linie der Piasten auf das Herzogtum Schlesien und erkannte damit die Zuordnung zu Böhmen an. Dafür verzichtete der böhmische König (aus dem Haus Luxemburg) auf Ansprüche auf die polnische Krone. Schlesien schied aus dem polnischen Staatsverband aus und wurde als Teil Böhmens mittelbar Bestandteil des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation (das Königreich Böhmen war seit 1198 Bestandteil des Heiligen Römischen Reiches).  

Visegrad, eine Stadt an der Donau, 40 km nördlich von Budapest, ist in jüngster Zeit durch die nach ihr benannte „Visegrad-Gruppe“ (Ungarn, Tschechien, Polen, Slowakei) bekannt geworden. Die Gruppe agiert gelegentlich als nationalistische Opposition innerhalb der Europäischen Gemeinschaft. 

Durch Aussterben der herzoglichen Piasten-Linien in Schlesien fielen die schlesischen Lehen nach und nach an die böhmische Krone. Sie wurden sog. Erbfürstentümer, die dem böhmischen König direkt unterstanden. 1675 waren alle schlesischen Herzogtümer böhmischer Kronbesitz, die durch königliche Statthalter verwaltet wurden.


Schlesien in der Habsburger Monarchie

1525 starb der böhmische König und durch Erbvertrag kam die böhmische Krone an die österreichischen Habsburger (den späteren römisch-deutsche Kaiser Ferdinand I.). 

Ferdinand I. war ab 1521 Erzherzog von Österreich (habsburgische Erblande) und ab 1526/27 König von Böhmen, Kroatien und Ungarn. Er war der Bruder des römisch-deutschen Kaisers Karl V.

Karl V. legte 1556 die Kaiserkrone nieder und teilte das Reich auf.
Sein Sohn Philipp II. bekam Spanien und die spanischen Kolonien.
Seinen Bruder Ferdinand I. bestimmte er als seinen Nachfolger als römisch-deutscher Kaiser. 

Die Reformation breitete sich in Schlesien rasch aus. In Liegnitz gründete der protestantische Herzog (Liegnitz fiel erst 1675 als erledigtes Lehen an die böhmische Krone) im Jahr 1526 die erste evangelische Universität Europas (die allerdings nach drei Jahren wieder geschlossen wurde). 

1558 wurde die Finanzverwaltung Schlesiens von der Böhmens getrennt. Die Schlesische Kammer wurde gegründet. Kammerpräsident wurde Friedrich von Rödern/Redern (im gleichen Jahr hatte er die Herrschaft Friedland als Erblehen erhalten – durch Friedland fahre ich am vorletzten Radtag). Die Schlesische Kammer wurde der Hofkammer in Wien direkt unterstellt. 

1563 begann die Habsburger Gegenreformation. Die Kirchen wurden den Protestanten weggenommen und ihre Geistlichen vertrieben. 

Der 30-jährige Krieg (1618 – 1648) verwüstete das Land. 

Im Westfälischen Frieden, der den 30-jährigen Krieg beendete, wurde nur Breslau, Liegnitz und einigen anderen Fürstentümern die freie Religionsausübung garantiert. Der größte Teil Schlesiens jedoch wurde rekatholisiert. In diesem Teil Schlesiens durften nur in den Städten Glogau, Jauer und Schweidnitz protestantische Kirchen errichtet werden, die sog. Friedenskirchen. 

Gegen die Rekatholisierung intervenierte der evangelische schwedische König. Er hatte im Westfälischen Frieden ein Mitspracherecht in schlesischen Konfessionsangelegenheiten erhalten. Daraufhin wurde in der Alranstädter Konvention 1707 vereinbart, dass die schlesischen Protestanten 121 Kirchen zurückerhielten und der Bau von sechs weiteren Kirchen gestattet wurde, u.a. auch in Hirschberg. Die sechs Kirchen wurden von den Habsburgern als Gnadenkirchen bezeichnet. Der Begriff Gnadenkirche bekundete die „Gnade“ Kaiser Joseph I., den Bau dieser Kirchen genehmigt zu haben. Allerdings erst nach gehörigem Druck durch den König von Schweden. 


Preußisches Schlesien

1740 wurde Maria Theresia von Österreich nach dem Tod ihres Vaters Erzherzogin von Österreich und Königin von Ungarn und Böhmen. Die Nachfolge wurde von Friedrich II. (der Große) von Preußen nicht anerkannt. Er konstruierte einen Erbanspruch auf Schlesien und besetzte das Land im 1. Schlesischen Krieg (1740 – 1742). Schlesien war u.a. durch die Textilherstellung ein wirtschaftlich wichtiges Gebiet der Habsburger Monarchie. 

Schlesien wurde preußisch. Nur ein kleiner Teil von Oberschlesien und ein Teil des Fürstentums Neiße blieben bei Österreich, als Herzogtum Ober- und Niederschlesien. 

Die österreichischen Gebiete gingen nach dem 1. Weltkrieg 1918 größtenteils an Tschechien, ein kleiner Teil an Polen. Von dem preußischen Oberschlesien mussten einige östliche Kreise an Polen bzw. Tschechien abgetreten werden.


Polnisches Schlesien

Nach dem 2. Weltkrieg wurde Schlesien in den polnischen Staat eingegliedert. Das war quasi ein Ausgleich für den Verlust der ostpolnischen Gebiete (200.000 Quadratkilometer, über die Hälfte des polnischen Staatsgebietes), die von Russland 1939 nach dem Stalin-Hitler-Pakt besetzt worden waren und die nach Ende des Weltkrieges von Russland nicht wieder herausgegeben wurden. Heute sind das Teile von Weißrussland/Belaruss und der Ukraine. Die polnisch-russische Grenze war vor der russischen Besetzung etwa eine Nord-Süd-Linie westlich von Minsk (Hauptstadt von Weißrussland). Die ukrainische Stadt Lwiw gehörte zu Polen (Lwow) und war von 1772 bis 1918 (nach der polnischen Teilung) die österreichische Stadt Lemberg. 

In Polen ist Schlesien in die Verwaltungsbezirke (Woiwodschaften) Niederschlesien (Dolny Slask), Oppeln - westliches Oberschlesien - (Opolskie) und Schlesien – östliches Oberschlesien – (Slaskie) gegliedert.

Die Woiwodschaften Niederschlesien und Oppeln waren vor dem Zweiten Weltkrieg der größere Teil der preußischen Provinz Niederschlesien, mit Breslau als Provinzhauptstadt. Daneben gab es die preußische Provinz Oberschlesien. Zu der preußischen Provinz Niederschlesien gehörte der nach dem Weltkrieg bei Deutschland verbliebene westliche Teil der Oberlausitz (Görlitz).

                        Die Informationen zu allen Berichten stammen meist aus                                                        Wikipedia- und anderen Internet-Artikeln, ohne Zitierung.

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Link zu den anderen Beiträgen:



Zu Gerhart Hauptmann und den Schlössern im Hirschberger Tal

Eine Fahrrad- und Wanderreise in das Hirschberger Tal und das Riesengebirge in Niederschlesien und Böhmen.  

Vom 9. bis 21. August 2022 

(1) Anreise und in Görlitz

Dienstag, 9. August 2022

Von Berlin bin ich mit dem Zug über Cottbus nach Görlitz gefahren. Mit dem Fahrrad hätte ich zwei weitere Tage und eine Übernachtung in Cottbus gebraucht. Das habe ich eingespart. Die Strecke bin ich schon bei meiner ersten Fahrradtour nach Löwenberg gefahren (Hin über Frankfurt-Oder und zurück von Görlitz bis nach Cottbus).  
(siehe Fahrradreise nach Löwenberg in Schlesien 2014 -

Görlitz

55.000 Einwohner, Deutschland, Freistaat Sachsen.
Zgorzelec
30.000 Einwohner, Polen, Województwo Dolnośląskie (Woiwodschaft /Provinz Niederschlesien), Powiat (Kreis) Zgorzelec. Polnischer Teil von Görlitz östlich der Neiße.

Ich habe einen frühen Zug von Berlin nach Görlitz genommen und hatte den Nachmittag Zeit für Görlitz. Ich war dort schon ein paar Mal. Diesmal wollte ich mir insbesondere die Oberlausitzer Bibliothek der Wissenschaften, die typischen Hallenhäuser und die Gründerzeitbauten rund um den Postplatz ansehen.

 

Eingangshalle
des Görlitzer Jugendstil-Bahnhofs von 1917

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Zuvor ein Blick in die Geschichte der Stadt und der Region Oberlausitz

Nach der Westwanderung germanischer Stämme wurde das Gebiet der Oberlausitz von westslawischen Sorben besiedelt. Wie viele andere Ortsnamen ist auch der Name Görlitz slawischer Herkunft (altsorbisch: Zgorlec – Siedlung auf einem ausgebrannten Waldstück).

Gegen Ende des 1. Jahrtausend wurden die slawischen Gebiete durch das Ostfrankenreich erobert. Die slawischen Stämme wurden gegenüber dem Ostfrankenreich tributpflichtig.

Das Ostfrankenreich ist 843 aus der Teilung des Frankenreiches (u.a. Karl der Große) entstanden. Unter Otto I. (Herzog von Sachsen, König des Ostfrankenreiches, König von Italien) erfolgte der Übergang zum Heiligen Römischen Reich (Kaiserkrönung 962 durch den Pabst).

Gegen Ende des 1. Jahrtausend entstand östlich der Oberlausitz das polnische Piasten-Reich unter Miezko I. . Der ließ sich taufen und erkannte die Oberhoheit des Heiligen Römischen Reiches an und schützte sich so vor fremden Eroberungen.

Ende des 11. Jh. kam Görlitz mit der Ober- und Niederlausitz als Lehen zu Böhmen. Das Königreich Böhmen gehörte zum Heiligen Römischen Reich.

Die Oberlausitz ist etwa das Gebiet des Mitte des 14. Jh. gegründeten Oberlausitzer Städtebundes der Städte Görlitz, Bautzen, Kamenz, Löbau, Zittau und Lauban (heute in Polen, Luban).   

Die Niederlausitz ist die ursprüngliche Mark Lausitz. Die Grenzen sind etwa die Flüsse Spree (im Norden), Bober (im Osten), Schwarze Elster (im Süden) und Dahme (im Westen). Im Zentrum ist die Stadt Cottbus.

Mitte des 14. Jh. war Görlitz ein bedeutender Handelsplatz. Die Stadt erlangte durch das Stapelrecht für „Waid“ ein Monopol für den Handel von Blau-Tuchfarbe mit den böhmischen Ländern.

Waid ist eine ursprünglich aus Vorderasien (Türkei, Algerien, Marokko) stammende Pflanze, aus der die Färberfarbe „Blau“ zum Färben von Tuchen gewonnen wurde. Angebaut wurde die Färberpflanze Waid in größerem Stil in Thüringen. Konkurrenz erhielt das Waid-Blau durch das Indigo-Blau aus Indien (auch aus einer Pflanze gewonnen). Abgelöst wurden die Pflanzenfarben, als BASF 1880 das künstliche Indigo entwickelt hatte.

Die getrockneten Pflanzenblätter wurden mit Urin fermentiert. In die Brühe wurden die Tuche eingetaucht. Danach entwickelte sich durch die Oxidation im Sonnenlicht die blaue Farbe. Eine Anekdote oder wahr ist die Erzählung, dass die Färber mit viel Bier versorgt wurden, um viel Urin lassen zu können. Mit dem Ausdruck „Blau sein“ sollen die betrunkenen Färber gemeint gewesen sein.

Das Blau der preußischen Soldatenuniformen (preußischblau) soll der brandenburgische Kurfürst Friedrich Wilhelm (1620 – 1688) eingeführt haben, um seine einheimischen Waidbauern zu unterstützen. Mit Görlitz hatte das aber nichts zu tun, das gehörte zu der Zeit (bis 1815) zum Kurfürstentum Sachsen.

Ebenfalls Mitte des 14. Jahrhunderts gründeten die Städte Bautzen, Lauban, Löbau, Görlitz, Kamenz und Zittau den Sechsstädtebund (Oberlausitzer Städtebund), um sich gegen Raubritter zu wehren.

1526 wählten die böhmischen Stände den Habsburger Ferdinand I. zum König von Böhmen, der damit auch Landesherr über die Lausitz wurde.

1623 musste Ferdinand I. die Ober- und Niederlausitz dem sächsischen Kurfürsten als Pfand überlassen. Er konnte die zugesagten Zahlungen für die militärische Hilfe der Sachsen gegen Aufstände in Böhmen nicht zahlen.

Im Prager Frieden von 1635 (Katholische Liga gegen die protestantischen Reichsstände, der Dreißigjährige Krieg ging trotzdem weiter) wurde die Pfand-Überlassung in ein kaiserliches Erblehen umgewandelt. Die Ober- und die Niederlausitz wurden sächsisch.           

Nach dem Wiener Kongress (1815) musste Sachsen die Hälfte seines Territoriums an Preußen     abgeben (der sächsische König hatte nach dem Ende Napoleons zu spät die Seite gewechselt), darunter auch die Niederlausitz und Teile der Oberlausitz (mit Görlitz und Lauban). Görlitz wurde Teil der preußischen Provinz Schlesien.

Nach dem 2. Weltkrieg wurde Görlitz durch die Oder-Neiße-Grenze geteilt. Die östliche Vorstadt wurde als „Zgorzelec“ polnisch. Der westliche Teil von Görlitz wurde Teil des Freistaates Sachsen.

Wirtschaft

Im 13. Jahrhundert war Görlitz ein Zentrum der Tuchweberei.

Mitte des 19. Jahrhunderts begann die Industrialisierung u.a. mit der „Waggonfabrik Görlitz AG“ (jetzt Bombardier).

Heute ist Görlitz Standort bedeutender Unternehmen. Dazu gehören z.B. der Sandalenhersteller Birkenstock (1.000 Mitarbeiter 2019), das Siemens-Dampfturbinen-Werk (800 Beschäftigte 2019), der Schienenfahrzeughersteller Bombardier (800 Beschäftigte 2019). Wachsend ist die IT-Branche mit über 1.000 Mitarbeitern. Siemens will in Görlitz ein Innovationscampus für Wasserstofftechnologie aufbauen.

In Zgorzelec ist eine der größten Bananen-Reifeanlage Europas. Sie wurde 1993 von dem polnischen Familienunternehmen Citronex gebaut. Das Unternehmen ist der viertgrößte Bananen-Importeur in Europa mit einer eigenen Bananen-Marke „Yellow“. 

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Die Oberlausitzer Bibliothek der Wissenschaften

       Richard Jecht (1858 – 1945) war Historiker und lange Zeit Sekretär         der Oberlausitzer Gesellschaft der Wissenschaften. 

Die Oberlausitzer Gesellschaft der Wissenschaft ist eine der ältesten noch existierenden Gelehrtengesellschaften in Mitteleuropa. Gegründet wurde sie 1779 mit dem Ziel der Förderung der Geschichts- und Naturkunde.

Gelehrtengesellschaften entstanden im 17. und 18. Jahrhundert. Sie wollten zur Verbreitung „gelehrten Wissens“ und der „moralischen Vervollkommnung“ ihrer Mitglieder beitragen. Sie gelten als Keimzelle der politischen Öffentlichkeit in dem entstehenden Bürgertum. Im 20. Jahrhundert wandelten sie sich häufig zu außeruniversitären Institutionen zur Förderung und Vernetzung der wissenschaftlichen Forschung.

Frühe Gelehrtengesellschaften sind die italienische „Accademia de Lincei“ (1603 gegründet), die deutsche „Leopoldina“ (1652 in Schweinfurt gegründet, seit 2008 in Halle) und die englische „Royal Society“ (gegründet 1660).

1945 wurde die Gesellschaft aufgelöst. Das Gebäude an der Neißestraße mit der Bibliothek und den Sammlungen ging an die Stadt Görlitz. Im Jahr 1990 wurde die Gesellschaft wiedergegründet.

Erhalten geblieben ist der historische Büchersaal der Oberlausitzer Bibliothek der Wissenschaften mit einer umfangreichen Bibliothek von 140.000 Bänden. Der älteste Band ist eine Handschrift aus dem 11. Jahrhundert.

Daneben gibt es das Physikalische Kabinett des Universalgelehrten und Mitbegründers der Oberlausitzischen Gesellschaft, Adolf Traugott v. Gersdorf, und eine Reihe weiterer Sammlungen: Graphisches Kabinett, Galerie der Aufklärung und Romantik, Literatur- und Musikkabinett, Altertümerkabinett, Gesteins- und Materialsammlung, Topographisches Kabinett. Das Interesse der Mitglieder der Gesellschaft und deren Sammlungen waren breit gefächert.     

Der historische Büchersaal


1803 kaufte einer der Gründer der Oberlausitzischen Gesellschaft das Barockhaus an der Neißestraße und schenkte es der Gesellschaft. Von 1804 bis 1945 hatte die Oberlausitzische Gesellschaft der Wissenschaften hier ihren Sitz.

Das Barockhaus war das Stadtpalais mit Wohn- und Handelsräumen des Zittauer Leinwand- und Damastkaufmanns Johann Christian Ameiß, 1729 gebaut. Es gilt als das bedeutendste Handels- und Wohnhaus der Barockzeit in Görlitz. Ameiß bewohnte in der Beletage die repräsentativsten Räume mit prachtvollen Stuckdecken. Das originale Interieur mit wertvollen Möbeln, Öfen, Gemälden und kunsthandwerklichen Gegenständen ist noch teilweise erhalten.

Das Barockhaus steht an der Neißestraße, die vor 900 Jahren die Handelsstraße „Via Regia“ war.  Am Untermarkt kreuzten sich die Via Regia und der Handelsweg von Böhmen an die Ostsee.

Die Via Regia (Königliche Straße/Königlicher Weg/Hohe Straße) war im Mittelalter die wichtigste West-Ost-Handels- und Militärstraße im Heiligen Römischen Reich. Sie verband das Rheinland über Frankfurt (Main) und Leipzig mit Schlesien. Es war ein Handelsweg, der unter dem Schutz der königlichen bzw. kaiserlichen Zentralgewalt stand.

Die Via Regia führt nach Westen weiter bis Santiago de Compostela in Spanien und im Osten bis Kiew in der Ukraine und in einem Seitenweg bis nach Moskau.

Das Barockhaus ist zusammen mit den Gebäuden Kaisertrutz und Reichenbacher Turm Teil des Kulturhistorischen Museums der Stadt. Die Verwaltung des Kulturhistorischen Museums ist in dem neben dem Barockhaus gelegenen Biblischen Haus. Das Biblische Haus (Neißestraße 29) ließ der Weimarer Waidhändler Hans Heinze 1570 neu aufbauen. Den Namen erhielt das Haus wegen seiner biblischen Reliefdarstellungen an der Fassade. Von der Wüstenrot-Stiftung wurde es renoviert. 


Die Görlitzer Hallenhäuser

Zwischen 1480 und 1560 entstanden in Görlitz die sog. Hallenhäuser. Sie waren Wohnhaus, Kontor, Lager und Brauhaus. Die Keller waren bis zu 3 Etagen tief. Turmartige Zentralhallen und prächtige Gewölbedecken zeigten den Wohlstand seiner Eigentümer. Vollständig erhalten sind wohl nur noch wenige dieser Hallenhäuser. Viele sind umgebaut worden, haben andere Nutzungen und sind nur begrenzt zugänglich (die Tourismus-Information hat nur ein Hallenhaus zur Besichtigung, einmal in der Woche, leider außerhalb meiner Zeit in Görlitz).

Hallenhäuser am Obermarkt

Das Hotel Frenzelhof war geschlossen.

Das Haus Untermarkt 3 von 1716 ist eines der typischen Hallenhäuser der Tuchhändler am Untermarkt (jetzt teilweise Ferienwohnungen und nicht zu besichtigen). Das gesamte Erdgeschoss ist eine große Gewölbehalle. Hier wurde gehandelt und drei bis neunmal jährlich Bier ausgeschenkt (entsprechend dem Braurecht des Hauses, damals war alles reglementiert). Darüber war eine drei Geschoss hohe Halle mit einem Lichthof. Sie diente der Repräsentation und der Tuch-Ausstellung. An die Halle grenzten die Wohnräume im ersten und zweiten Geschoss an. Im zweiten Geschoss war auch das Kaufmannskontor mit Blick auf den Handelsbetrieb in der großen Halle. 

Das Restaurant Bürgerstübl ist in einem ehemaligen Hallenhaus. Die repräsentativen Gewölbehallen im Erdgeschoss mit ihren Ausmalungen sind gut erhalten. Auch die Räume des Obergeschosses konnte ich mir ansehen.

Gewölbe-Räume im  Restaurant Bürgerstübl
 

Allerdings konnte ich in dem Restaurant nicht zu Abend essen. Alle Tische in allen Räumen waren reserviert. Ich bin auf die „Schlesische Oase“ ausgewichen, die, wie der Name schon sagt, schlesische Gerichte serviert. Übernommen hat das Restaurant vor einiger Zeit ein polnischer Gastwirt. Viele Restaurants seien in der Corona-Krise geschlossen worden und dann von Polen wiedereröffnet worden, berichtete mir ein Mitarbeiter des Hotels Schwibbogen. Viele hätten aber nach kurzer Zeit wieder aufgegeben. Anders als die Schlesische Oase, die mit dem polnischen Wirt durchgehalten hat.

 

Der Reichenbacher Turm und der Kaisertrutz

Vom Reichenbacher Turm hat man nach 165 Treppenstufen (die bin ich natürlich hinaufgegangen) einen guten Blick über die Stadt, den Kaisertruz gleich gegenüber und den Obermarkt. Bei schönem Wetter soll die Sicht bis in das Riesengebirge reichen, so exzellent war sie heute aber nicht. Aber den Ofen des letzten Türmers im Türmerstübchen habe ich gesehen.

Der Reichenbacher Turm ist ein erhaltener Teil der Stadtbefestigung. 1376 wurde er erstmals erwähnt, ist aber in seinem Ursprung wohl älter. Die barocke Turmspitze (Laternenbau) ist später aufgesetzt worden (1782). 1862 begann der Abbruch der Stadtbefestigung.

Jetzt ist in dem Turm eine (kleine) Ausstellung zur Geschichte von Görlitz und deren Stadtbefestigung.

Reichenbacher Turm und Kaisertrutz

Der Kaisertrutz ist eine von einstmals 32 Basteien. 1490 wurde sie der Stadtmauer vorgelagert errichtet. Den Namen Kaisertrutz erhielt die Bastei, weil hier im 30-jährigen Krieg die schwedische Besatzung die kaiserlichen und sächsischen Angreifer abwehren konnte.

Jetzt beherbergt die Bastei eine kulturhistorische Ausstellung und die Galerie der Moderne.

 

Der Postplatz und seine Gründerzeitbauten

Die Gründerzeit erlebte Görlitz als preußische Stadt. Sachsen musste nach dem Wiener Kongress 1815 große Teile der Oberlausitz an Preußen abgeben. Es war die Zeit der Industrialisierung und des Wachstums der Städte.

Da war der freie Platz außerhalb der alten Stadtmauern eine willkommene Erweiterungsfläche. Auf dem heutigen Postplatz war bis 1845 ein Viehmarkt.

Als Gründerzeit wird gemeinhin die Zeit der Industrialisierung ab Mitte des 19.  Jahrhunderts bezeichnet, im engeren Sinn nur die Jahre nach der Gründung des Deutschen Kaiserreichs 1871.

Zahlreiche Unternehmen wurden gegründet. Das Eisenbahnnetz wurde erweitert. Die während der Einigungskriege auf Kriegsgüterproduktion ausgerichtete Industrie wurde wieder auf zivile Produkte umgestellt. Französische Reparationszahlungen (5 Milliarden Franc, es war das Dreifache des in Deutschland damals vorhandenen Bargeldes) nach dem Deutsch-Französischen Krieg (Friede von Frankfurt 1871) kamen dem deutschen Kapitalmarkt zugute.

So ganz frei war aber nicht der gesamte Platz. Gegenüber der heutigen Nord-Ost-Ecke des Platzes stand ab 1473 schon die Frauenkirche. Sie wurde damals außerhalb der Stadtmauer gebaut und erhielt zusammen mit dem Friedhof eine eigene Wehrmauer.

Neben der Kirche wurde etwa zwanzig Jahre später ein Spital für „Pilger, Wallfahrer, andere reisende Personen, arme Lehrer und Schüler“ gebaut, denen es ein „Nachtlager und Behausung“ bis zur Weiterreise bieten sollte.

1863 kaufte ein Görlitzer Kaufmann das Spital, ließ es für eine neue Bebauung abreißen und errichtete dort ein spätklassisches/Jugendstil-Gebäude mit dem Victoria- Hotel, einem Wiener Café und Läden (heute Büro- und Geschäftshaus).

Auf der Ostseite des ehemaligen Viehmarktes wurde 1899 der Klinkerbau des Postgebäudes fertiggestellt. Gegenüber entstand schon vorher das Klinker-Gebäude des Amts- und Landgerichts (1865, ergänzt 1877).

Postgebäude und Muschelminna

In der Platzmitte wurde 1887 ein Zierbrunnen errichtet, im Volksmund „Muschelminna“ genannt, wegen der Bronzefigur auf dem marmornen Sockel.  Über ihrem Kopf hält die Venus eine Muschel, aus der das Wasser - aber nur zu besonderen Anlässen - auf sie herabrieselte. Die in Lauchhammer gegossene Bronzefigur überlebte allerdings den 2. Weltkrieg nicht. Nicht, weil sie durch Kriegshandlungen zerstört worden wäre. Nein, sie wurde wie die Glocken der Frauenkirche (und vielen andern Kirchenglocken) zu Kanonen eingeschmolzen. 1994 wurde ein Nachguss aufgestellt, gesponsert von dem Mineralölunternehmen Shell, deren Firmenzeichen ja eine Muschel ist.

Der Postplatz bildete den Mittelpunkt des um 1900 entstandenen Gründerzeitviertels in der westlichen Innenstadt, mit geschlossener Blockrandbebauung und mit einer Durchmischung von Wohnungen und Handwerks- und Kleinbetrieben (die allerdings nur noch teilweise vorhanden sind).

In Görlitz sind fast 4.000 Baudenkmale aus 500 Jahren europäischer Baugeschichte erhalten: Gotik (1130 – 1500), Renaissance (15. – 16. Jh.), Barock (1600 – 1770), Jugendstil (1890 – 1910), Bauhaus/Moderne (1920er – 1930er Jahre).

 

Das Schlesisches Museum

Das Schlesische Museum ist in einem Bauensemble von vier historischen Gebäuden, dem Schönhof (Renaissance-Gebäude von 1526, im 14. Jahrhundert fürstliches Gästehaus, Hallenhaus mit einer zentralen Halle über alle Stockwerke),
dem Mittelhaus (das früher ein Brauhaus war),
dem Gebäude am Fischmarkt (früher Schankraum des Brauhauses, auf dem Platz wurden im 18. Jahrhundert Heringe verkauft)
und dem Hallenhaus am Untermarkt.

Hallenhaus des Schlesischen Museums

Das Museum wurde 1996 als Stiftung von der Bundesrepublik Deutschland, dem Freistaat Sachsen, der Stadt Görlitz und der Landsmannschaft Schlesien gegründet.

 

Hotel Schwibbogen

Ich übernachte am ersten und am letzten Tag meiner Rundreise im Görlitzer Hotel Schwibbogen. Das Hotel steht am Obermarkt. Gegenüber ist der Georgsbrunnen. Die Brunnenfigur stellt einen Görlitzer Stadtknecht dar. Seit 1590 gibt es den Brunnen. Warum der Georg heißt? Das wissen wohl nur Görlitzer aus der Zeit.

Hotel Schwibbogen und die ehem. Klosterkirche
mit dem Georgsbrunnen davor


Bei der Sanierung des Hauses stieß man hinter einem Hohlraum auf alte Ausmalungen aus der Zeit des Erbauers des Hauses. Wohl zur Hochzeit des Hausherren Hieronymus Schnitter/Schneider 1536 wurden die Kunstwerke von Schülern (Mitarbeitern der Werkstatt) von Lucas Cranach (der Ältere) gemalt. Heute schmücken sie den Frühstücksraum des Hotels.

Wandbild im Frühstücksraum

Lucas Cranach der Ältere (1472 – 1553) war Hofmaler am kursächsischen Hof. In seiner Werkstatt entstanden etwa 5.000 Gemälde. Er gilt als der charakteristische Maler der Reformation. Sein Sohn (Lucas Cranach der Jüngere, 1515 – 1586) führte die Werkstatt fort.

Der Hotelname „Schwibbogen“ bezieht sich auf den Eingang des Nachbarhauses. Der ist von einem Schwibbogen überspannt, mit mehreren Stockwerken darüber.

Ein Schwibbogen ist in der Architektur ein bogenförmiges Strebewerk zur Abstützung von gegenüberliegenden Mauern oder Gebäuden.

Der Schwibbogen stützte das Haupthaus (heute das Hotel, die Stockwerke über dem Schwibbogen sind Wohnungen) mit der danebenstehenden Klosterkirche (heute Dreifaltigkeitskirche) des Franziskanerklosters (wahrscheinlich von 1234). Nach der Reformation wurde das Kloster 1563 aufgelöst und der Stadt übergeben, mit der Bedingung, dort eine Schule einzurichten. 

Gymnasium Augustum im ehem. Franziskanerkloster

Ein erstes Haus wurde an der Stelle des Hotels Schwibbogen 1533 gebaut. Bauherr war ein Hieronymus Schnitter (Schneider). Sein Bruder war später Bürgermeister von Görlitz. Der Bauherr kämpfte in jungen Jahren als Soldat des böhmischen Königs Ferdinand I. (der später deutscher Kaiser als Nachfolger Karl V. wurde) in Wien gegen die Türken (1529). Görlitz und die Oberlausitz waren zu der Zeit böhmisch.

Es war die Zeit, in der ein Friedrich von Rödern von König Ferdinand I. im Jahr 1558 die Herrschaft Friedland in Böhmen als Erblehen erhielt. Dort bin ich bei der letzten Fahrradetappe von Haindorf bzw. Bad Liebwerda über Friedland nach Görlitz vorbeigekommen.

So sind der Beginn und das Ende meiner Radreise durch die Geschichte verbunden.

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 Zum Schluss ein Blick in die Küche:

Schlesisches Himmelreich
- Schweinefleisch in Backobstsoße und Schlesischen Klößen -
im Restaurant Schlesische Oase


Zu dem Bericht gibt es ein Fotoalbum:

Link zu den anderen Beiträgen:
🔄 (11) Rückfahrt über Bad Liebwerda und Haindorf