Stadtwanderung
1. Etappe: Südstern bis Moritzplatz
Start am Südstern.
Der Südstern in Kreuzberg ist der letzte Teil des sog. „Generalzugs“, ein bis 1880 fertiggestellter Straßenzug von der Gedächtniskirche an der Tauentzienstraße über die Plätze Wittenbergplatz, Nollendorfplatz, Dennewitzplatz, Wartenbergplatz zum Südstern. Auf den Südstern läuft die Gneisenaustraße zu, die Fortsetzung bildet die Hasenheide. Die Straßenplanung geht auf Pläne von Peter Joseph Lenné und den Hobrechtplan von 1862 zurück.
Peter Joseph Lenné (1789 –
1866) war General-Gartendirektor der königlich preußischen Gärten. Er prägte
fast ein halbes Jahrhundert die königlichen Gärten und Parkanlagen und die
Stadtplanung Berlins.
Der Hobrechtplan war ein
Bebauungsplan für Berlin und deren Umgebung. Anlass war die Eingemeindung von
Moabit, Wedding und Gesundbrunnen nach Berlin 1861 und das Anwachsen der Städte
um Berlin durch die Industrialisierung.
Eine Planungskommission des preußischen Innenministeriums unter Leitung
von James Hobrecht erstellte eine neue Infrastruktur für Berlin und die
angrenzenden Städte Charlottenburg, Reinickendorf, Weißensee, Lichtenberg,
Rixdorf und Wilmersdorf.
Vom Südstern gehen sieben Straßen
sternförmig ab, daher der Name. Er hieß auch einmal Gardepionierplatz.
Am Südstern wurde Ende des 19.
Jahrhunderts eine evangelische Garnisonskirche
(A) (Kirche für das am Ort stationierte Militär) im neugotischen Stil
gebaut. Das „katholische Gegenstück“ ist die Johannes Basilika, ganz in der
Nähe (der Schlusspunkt der Stadtwanderung). Sie wurde zur gleichen Zeit gebaut.
Die ehemalige Garnisonskirche am Südstern wird jetzt vom „Christlichen Zentrum
Berlin“, eine Freikirche, genutzt.
An der vom Südstern abgehenden
Bergmannstraße (wir treffen sie noch einmal etwas später) liegt ein größerer Friedhofskomplex mehrerer evangelischer Kirchengemeinden
(1), der zwischen 1825 und 1852 teilweise auf einem ehemaligen Weinberg außerhalb
(damals) der Stadt angelegt wurde. Durch den Bevölkerungszuwachs reichten die
innerstädtischen Friedhöfe nicht mehr aus.
Kirchhof Luisenstadt: Gräber von Gustav
Stresemann (1878 – 1929, Reichskanzler, Außenminister und
Friedensnobelpreisträger) und von Franz Späth (1839 – 1913, Gründer der
Späth-Baumschule).
Die zur
Luisenstädtischen Gemeinde gehörende Kirche wurde im 2. Weltkrieg zerstört und 1964
wegen ihrer Nähe zur Berliner Mauer gesprengt.
Friedrichwerderscher Kirchhof: Die
Friedrichwerdersche Kirche in Berlin Mitte ist ein Schinkel-Bau, der seit 1987
von der Berlinischen Akademie der Künste für eine Skulpturensammlung genutzt
wird.
Friedhof der Jerusalems- und Neuen Kirche:
Die Jerusalem-Kirchengemeinde wurde um 1900 mit der Gemeinde der „Neuen Kirche“
am Gendarmenmarkt (Französischer Dom ?) zusammengefasst.
Friedhof der Dreifaltigkeitsgemeinde: Gräber
von Martin Gropius (1824 – 1880, Architekt, u.a. des Gropius-Baus in
Berlin-Mitte), Johann Georg Halske (1814 – 1890, zusammen mit Siemens gründete
er die Telegraphen-Bauanstalt Siemens & Halske) und Adolph Menzel (1815 –
1905, Maler), Theodor Mommsen (1817 –
1903, Historiker), Friedrich Schleiermacher (1768 – 1834, Theologe), Georg
Wertheim (1857 – 1939, mit seinem Bruder Hugo gründete er den
Wertheim-Konzern).
Die
Dreifaltigkeitskirche stand in Berlin-Mitte (heutige Glinkastraße), brannte im
2. Weltkrieg aus und wurde 1947 gesprengt.
Nach den Friedhöfen kommen wir zum Marheinekeplatz (3) mit der wohl bekanntesten Berliner Markthalle.
Am Beginn des Platzes liegt die evangelische Passionskirche (2), 1908 im neuromanischen Stil fertiggestellt. Das Besondere sind Ziegel im Klosterformat (größere Ziegel). Der quadratische Grundriss mit vier in den Ecken stehenden Türmen hat im Inneren die Form eines griechischen (gleichschenkligen) Kreuzes. Neben der kirchlichen Nutzung finden Konzerte und andere Veranstaltungen in der Kirche statt.
Viele Berliner Kirchen sind um 1900
(Mitte des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts) gebaut wurden. Die Stadt wuchs
in der Zeit um über eineinhalb Millionen Einwohner. Auf evangelischer Seite
trieb ein Kirchbau-Verein den Bau voran, unterstützt vom preußischen Staat (Die
herrschenden Hohenzollern waren 1539 nach dem Übertritt des Brandenburgischen
Kurfürsten Joachim II. zur Lutherischen Lehre evangelisch geworden, nicht ohne
die Staatskasse mit den säkularisierten katholischen Kirchengütern zu füllen.).
Innerhalb von 25 Jahren wurden 75 Kirchen gebaut.
Die Marheineke Markthalle, Markthalle XI, (3) ist eine von ehemals 14 städtischen Markthallen, die Ende des 19. Jahrhunderts gebaut wurden. Aus hygienischen Gründen ersetzten sie die bis dahin offenen Marktstände.
Die Marheineke-Halle wurde im 2. Weltkrieg zerstört und in den 1950er Jahren neu aufgebaut.
In der Halle sind die Marktstände mit Geflügel, Wurst und Fleisch und allem, was man an Lebensmitteln braucht. Ganz frisch waren gerade Zickleinschenkel beim BioBufett eingetroffen. Zwischen Dorade und Wolfsbarsch aus Wildfang oder aus Aquakultur konnte man an der Fischtheke wählen. Obst und Gemüse bekommt man an mehreren Ständen. Natürlich fehlt eine Vielfalt an französischem Käse nicht. Andreas erkannte auch gleich die „Pastel de Nata“, kleine Cremetörtchen. Das Rezept soll aus dem Jéronimus Kloster in Belem, ein Stadtteil von Lissabon, stammen. Wir haben sie probiert, köstlich.
Der Platz vor der Markthalle ist im Rahmen des Hobrechtplans (s.o.) entstanden. Benannt ist er nach dem Theologen Phillip Konrad Marheineke, der Prediger in der Passionskirche war. Seit 1990 ist der Platz mit einer Brunnenanlage gestaltet, bestehend aus fünf großdimensionalen Bronzetiegeln.
In der Markthalle Der Brunnen vor der MarkthalleDie Bergmannstraße (4) ist nach der Großgrundbesitzerin
benannt, der die Ländereien in der Gegend gehörten. 1861 wurden die
landwirtschaftlichen Flächen nach Berlin eingemeindet und planmäßig
erschlossen. In dem Wohngebiet um die Bergmannstraße herum (Bergmannkiez) sind
noch viele Gründerzeitgebäude erhalten. Heute ist die Bergmannstraße eine
Flaniermeile mit vielen Restaurants.
In einer Seitenstraße zwischen Bergmannstraße und Arndtstraße (Schenkendorfstr. 7) wurde 1975 Peter Lorenz, führender CDU-Politiker Berlins, von linken Terroristen gefangen gehalten, um die Freilassung anderer Links-Terroristen zu erpressen. Was gelang, Peter Lorenz kam nach sechs Tagen wieder frei.
Wir gehen von der Bergmannstraße ein Stück den Mehringdamm hoch. Am Mehringdamm liegen die Sarotti-Höfe (6).
Die Sarotti-Höfe sind ein Komplex mit
mehreren Hinterhöfen. 1881 kaufte der Konditor Hugo Hoffmann das Grundstück und
errichtete anstelle der Remise (Wirtschaftsgebäude hinter den Wohngebäuden) ein
Fabrikgebäude. Zuvor hatte er die „Conifiseur-Waren-Handlung Felix &
Sarotti“ übernommen und verkaufte in einem Ladenlokal in der Mohrenstraße seine
Produkte unter dem Namen „Sarotti“. Wahrscheinlich hat ihn die Lage in der
Mohrenstraße angeregt, einen Mohren als Warenzeichen zu wählen, der bekannte
Sarotti-Mohr. Auf der Pariser Weltausstellung erhielt Hoffmann einen 1. Staatspreis für seine Schokolade. Bis zu 1.800 Menschen sollen in der Fabrik beschäftigt
gewesen sein.
1911 war die
Fabrik in den Hinterhöfen zu klein geworden. Hoffmann zog nach Tempelhof. An
der Mehringstraße ist heute das Hotel „Sarotti Höfe“ und ein Sarotti-Mohr
erinnert an die Schokolade.
Die ist jetzt eine Marke der Schokoladenfabrik Stollwerk, die seit 2011 zu dem belgischen Süßwaren-Unternehmen Baronie gehört.
Zurück zur Bergmannstraße, die nach Überqueren des Mehringdamms die Kreuzbergstraße wird, zum Viktoriapark (7) und dem Kreuzberg-Denkmal (8)
Zuerst entstand das „Nationaldenkmal für die Siege in den
Befreiungskriegen“ gegen Napoleon 1813 bis 1815. Auf der höchsten Erhebung
der Innenstadt, die damals noch Tempelhofer Berg hieß, wurde 1821 ein von
Friedrich Wilhelm Schinkel (preußischer Baumeister, der die Mitte Berlins
wesentlich prägte) entworfenes Monument aus Gusseisen errichtet, das wie der
Turm einer gotischen Kathedrale aussieht. Der Grundriss ist ein Kreuz und die
Turmspitze wird von einem Eisernen Kreuz gekrönt. Davon wurde dann auch der
Name für den Berg Kreuzberg, und den Verwaltungsbezirk Kreuzberg abgeleitet
Der Guss des Denkmals wurde von der Königlich
Preußischen Eisengießerei ausgeführt, in der auch die Eiserne-Kreuz-Orden gegossen
wurden. Zwölf Skulpturen an den Seiten stammen von bekannten
Bildhauern der damaligen Zeit, Rauch, Tieck und Wichmann, und erinnern jeweils
an eine Schlacht. Die Gesichter weisen (sicher gewollte) Ähnlichkeiten mit
Mitgliedern des Königshauses und von Generälen der Befreiungskriege auf.
Durch
die an den Berg heranwachsende Wohnbebauung war das Denkmal nicht mehr so gut
sichtbar. 1878/1879 wurde darum ein acht
Meter hohes Podest gebaut, auf das das Denkmal hydraulisch gehoben wurde.
Dieser
Sockelbau des Denkmals ist normal
nicht zugänglich. Es werden dort steinerne
Friese (u.a. der Münzfries von Johann Gottfried Schadow am Gebäude der Berliner
Münze am Werderschen Markt, die 1800 bis 1886 bestand) und Plastiken
untergegangener Bauten gelagert. Gipsabdrücke der Figuren am Kreuzbergdenkmal
sind dort ebenfalls eingelagert und Fledermäuse leben wohl auch in dem kalten
Keller.
Eine seltene Gelegenheit, das sonst
geschlossene Sockelgebäude zu sehen, ist jetzt. Dort ist zurzeit eine
Ausstellung „Mühlenhaupt trifft Schinkel
und Schadow“ mit Bildern des Berliner Malers Kurt Mühlenhaupt (1921 –
2006). Wir haben sie zu Beginn unseres
zweiten Wandertages besucht. Mühlenhaupt hat auch die Figuren des
Feuerwehrbrunnens am Mariannenplatz geschaffen, die wir noch sehen werden.
Mühlenhaupts Bilder finden wir nicht so spannend. Er gehörte zu Lebzeiten mit
Trödelladen und Kneipe zur Kreuzberger-Künstler- und Lebenskünstler-Szene.
Vielleicht ist er auch dadurch bekannt geworden.
Erst nach dem Denkmal wurde 1888 das Gelände um das Kreuzberg-Denkmal als Park gestaltet. Benannt wurde er nach Viktoria, der Ehefrau des Preußischen Königs und Deutschen Kaisers Friedrich III. (der 99-Tage Kaiser). Später wurde noch ein angrenzendes Militärgelände einbezogen. Neben dem Kreuzberg-Denkmal ist der Wasserfall von der Denkmal-Höhe hinunter zur Kreuzbergstraße ein imposantes Merkmal des Viktoriaparks. Interessant soll auch die sog. „Wolfsschlucht“, eine umgestaltete ehemalige Kiesgrube, sein (dort waren wir nicht).

Wir überqueren die Yorkstraße und werden am Haus Nr. 22 (9) an einen der Widerstandskämpfer gegen das Dritte Reich erinnert. Karl Behrens (1909 – 1943) wohnte in dem Haus. 1943 wurde er in der Strafanstalt Plötzensee ermordet. Er war Konstrukteur bei der AEG-Turbinenfabrik und heimlicher Mitarbeiter des Widerstandskämpfers (Rote Kapelle) Arvid Hardnack, ein promovierter Volkswirt, der im Reichswirtschaftsministerium arbeitete. Nachdem Hardnack 1942 in Plötzensee hingerichtet worden war, wurde Behrens an der Ostfront verhaftet und ebenfalls nach Plötzensee gebracht.
Die nächste Station nach dem Kreuzberg ist der Park am Gleisdreieck (10). Der ist in drei Teilen 2011 (Ostpark), 2013 (Westpark) und 2014 (Flaschenhals) auf den Brachflächen des ehemaligen Anhalter-Güterbahnhofs und des Potsdamer Güterbahnhofs entstanden. Zwischen dem West- und Ostpark liegt die Nord-Süd-Hauptbahnstrecke der DB.
Der Anhalter-Bahnhof war einmal einer der wichtigsten Fernbahnhöfe Berlins. Das Bahnhofsgebäude des Kopfbahnhofs lag am Askanischen Platz (am ehemaligen Anhalter Tor der Berliner Zollmauer, s.u.).
1841
eröffnete die private Berlin-Anhaltinische-Eisenbahn-Gesellschaft die Bahnstrecke
von Berlin nach Köthen im Herzogtum Anhalt (die Anhalterbahn). Im gleichen Jahr wurde der Anhalter-Bahnhof eingeweiht,
in den folgenden Jahren mehrfach erweitert.
Das Bahnhofsgebäude, von dem nur noch der Eingangsbereich übriggeblieben
ist, wurde 1880 eingeweiht.
Beim
Bau des Bahnhofs wurde der Personen- von dem Güterverkehr getrennt. Die
Gleisanlagen des Personenbahnhofs waren nördlich des Landwehrkanals. die des
Güterbahnhofs südlich des Landwehrkanals (Ostpark
des Parks am Gleisdreieck).
Der Potsdamer-Bahnhof hatte die Anlagen
des Personenverkehrs ebenfalls nördlich des Landwehrkanals. Das Bahnhofsgebäude
lag in der Nähe des heutigen Potsdamer Platzes. Er war der Kopfbahnhof der
Strecke Berlin – Potsdam der Berlin-Potsdamer-Eisenbahngesellschaft. 1938 wurde
die Strecke, die sog. Stammbahn, in Betrieb genommen. Es war die erste
Eisenbahnstrecke Preußens.
Südlich des Landwehrkanals waren die Gleisanlagen des Güterbahnhofs. Hier wurde der Westpark des Parks am Gleisdreieck angelegt.
Am Rand des Gleisdreiek-Parks geht es weiter. An der Ecke Möckernstraße/Wartenburgstraße schmückt das Mural „Trialog“ (11), ein Streetart-Wandbild, die Hauswand, ein Bär mit einem Kind, dazwischen ein Baum (Künstlergruppe „innerfields). Wir treffen später noch einmal auf ein anderes Berliner Mural.
Dann kommen wir zum Deutschen Technikmuseum (13). Am östlichen Rand des Museums befindet sich das Science Center Spectrum (12) des Museums. Es ist vom Museum in dem ehemaligen Verwaltungsgebäude des Anhalter Güterbahnhofs eingerichtet worden. In dem Science Center sind 150 „Experimente zum Anfassen“ aufgebaut. Die Besucher können selber experimentieren und Akustik, Optik, Mechanik, Elektrizität usw. erfahren.
Das Deutsche Technikmuseum (12) war bis 1996 das „Museum für Verkehr und Technik“, 1983 eröffnet. In das Museum wurden die Ringlokschuppen des ehemaligen Betriebswerkes des Anhalter-Güterbahnhofs einbezogen. Schwerpunkt der Ausstellungen sind die Verkehrstechnik (Luft, Straße, Schifffahrt) und industrielle Produktionstechnik (Schmuck, Textilien, Nachrichten, Automation und mehr).
Wir überqueren den Landwehrkanal auf dem Anhaltersteg (14), kommen am Elise-Tilse-Park
(15) und dem Tempodrom (16)
vorbei. Südlich des Landwehrkanals lagen die Gleise für den Güterverkehr,
nördlich des Kanals die Gleisanlagen des Anhalter Personenbahnhofs und das
Anhalterbahn-Bahnhofsgebäude.
Elise Tilse (1910 – 2005) war
Kulturamtsleiterin in Kreuzberg. Sie muss eine außergewöhnliche Frau gewesen
sein. Die Berlinischen Galerie hat ihre umfangreiche Korrespondenz archiviert.
Das Tempodrom (2001 eröffnet) hat eine
lange Geschichte. Sie beginnt 1980. Eine Krankenschwester investierte ihre
Erbschaft in einen Traum, ein Zirkuszelt. Schon nach einem Jahr war der Zirkus
pleite. Der Berliner Senat half. Die Krankenschwester hatte wohl gute
Beziehungen zur in Berlin regierenden SPD. 1985 zog das Zelt als Tempodrom mit
Musikveranstaltungen und Konzerten vom Potsdamer Platz in die Nachbarschaft der
Kongresshalle im Tiergarten. Dann kamen die Wiedervereinigung und der Bau des
Kanzleramtes. Das Tempodrom wurde als Sicherheitsrisiko angesehen und musste
weichen (So groß war das Risiko aber wohl doch nicht. Heute ist dort das „Tipi
am Kanzleramt“ mit ähnlichem Programm).
„Versüßt“
wurde der Abgang mit einer ordentlichen Entschädigung. Mit der und mit Spenden
und (wen wunderts) staatlichen Zuschüssen entstand 2001 ein Neubau auf dem
Gelände des ehem. Anhalter Bahnhofs. Ein Zelt, aber aus Beton und Stahl. Doch
die Baukalkulation stimmte wohl nicht ganz. Am Ende verdoppelten sich die
Baukosten von 16 auf 32 Millionen EUR. Der SPD-Bausenator Peter Strieder musste
deswegen 2004 zurücktreten. Irene Moessinger, die ehemalige Krankenschwester
und Erbin, verließ ein Jahr später das Projekt. Ein Insolvenzverwalter wurde
eingesetzt. Jetzt betreibt eine Investorengruppe das Tempodorom.
Der Hochbunker wurde bis 1942 als
Luftschutzbunker für Reisende und Mitarbeiter der Reichsbahn gebaut. Auch der
Reichsbahnpräsident hatte damals an sich gedacht. Für ihn und seine leitenden
Mitarbeiter gab es besondere Räume. Im Übrigen war der Bunker für 3.000
Personen ausgelegt. Bei den Kämpfen zum Ende des Krieges mussten bis zu 10.000
Menschen dort Schutz suchen. Heute befinden sich zwei Ausstellungen über die
Geschichte Berlins (Berlin Story) und über das NS-Regime (Hitler, wie konnte es
geschehen) in dem Bunker.
Gegenüber dem Anhalter Bahnhof steht ein Gebäude, in dem ich schon in meiner (politischen) Jugendzeit war. In dem Deutschlandhaus (19) waren die politischen (Pflicht-)Vorträge der geförderten Berlinfahrten zu absolvieren. Ein großer Hörsaal mit oft etwas übermüdeten Jugendlichen, die in der Nacht zuvor das Berliner Leben ohne Sperrstunde erkundet hatten. Ich schließe mich da nicht aus.
In dem Deutschlandhaus ist in diesem Jahr (2021) das Dokumentationszentrum der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung eröffnet worden. Informiert wird über das Schicksal von Millionen Menschen, die durch die nationalsozialistische Politik Flucht und Vertreibung erleben mussten. Vertrieben wurden und flüchten mussten nicht nur die Deutschen in den Ostgebieten, sondern auch viele Menschen wegen ihrer Herkunft, ihres Glaubens und ihrer Überzeugung.
Auf dem Weg zum Jüdischen Museum kommen wir am Hebbel-Theater (20) in der Stresemannstraße vorbei.
Das Hebbel-Theater wurde 1908 eröffnet.
Architekt des Jugendstil-Gebäudes war der ungarische Architekt Oskar Kaufmann
(1873 – 1956). Es war sein erster Theaterbau. Danach folgten in Berlin die
Volksbühne am Bülowplatz, das Theater und die Komödie am Kurfürstendamm, der
Theatersaal der Krolloper (existiert nicht mehr), und das Renaissance-Theater
in der Knesebeckstraße und Theaterbauten in anderen Städten.
Das Theater wurde nach dem Dramatiker Friedrich Hebbel (1813 – 1863) benannt und mit dessen Trauerspiel „Maria Magdalena“ eröffnet. Im 2. Weltkrieg wurde das Gebäude kaum beschädigt, sodass es nach dem Krieg die bedeutendste Bühne West-Berlins wurde. Seit 2003 ist das Hebbel-Theater im Verbund mit dem „Theater am Halleschen Ufer“ und einer weiteren kleineren Bühne (HAU 1 – 3, Hebbel am Ufer).
Es folgt das Willy-Brandt-Haus (21), die SPD-Bundesgeschäftsstelle, an der Wilhelmsstraße.
Die Wilhelmstraße ist eine der
geschichtsträchtigen Straßen Berlins. Von der Spree bis zum Landwehrkanal in
nord-südlicher Richtung verlaufend wurde sie im Rahmen der Stadterweiterung in
den 1730er Jahren angelegt. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden Ministerien
des Königreichs Preußen angesiedelt. Nach der Gründung des Deutschen Reiches
1871 folgten die neuen
Reichsministerien. Es wurde das Regierungsviertel.
Die
Straße liegt mit dem nördlichen Teil im Bezirk Mitte, mit dem südlichen in
Kreuzberg. Die Bezirksgrenze war bis zur Wiedervereinigung der Verlauf der
Mauer.
An
der Grenze der beiden Bezirke ist die Gedenkstätte
Topographie des Terrors. Im Dritten Reich waren hier die Gestapo (Geheime
Staatspolizei) und Stellen der SS (der Sicherheitsapparat der Nazis).
Fast
daneben ist der Martin-Gropius-Bau
(in der Niederkirchnerstraße, eine Seitenstraße der Wilhelmstraße). Das
Gebäude wurde 1881 nach den Plänen von Martin Gropius im Stil der italienischen
Renaissance als Kunstgewerbemuseum fertiggestellt. Martin Gropius war ein
Großonkel des Bauhaus Gründers Walter Gropius. Heute sind wechselnde
Ausstellungen in dem Gebäude.
Fast gegenüber ist das Berliner Abgeordnetenhaus in dem Gebäude des ehem. Preußischen Landtags. Das ist jetzt schon Berlin-Mitte.
Wir bleiben im Bezirk Kreuzberg und gehen von der Wilhelmsstraße zum Mehringplatz (22).
Der Mehringplatz liegt gar nicht so
weit vom Zentrum entfernt, am Ende der Friedrichstraße, eine der bekannten
Ostberliner Einkaufsstraßen. Aber, zugegeben, ich war vorher noch nie dort.
In
den 1730er Jahren ließ der preußische König drei Plätze zur Aufwertung seiner Residenzstadt anlegen, den viereckigen
Karree-Platz (heute Pariser-Platz), das achteckige Oktogon (heute Leipziger
Platz) und das Rondell (heute der Mehringplatz). Auf den Mehringplatz liefen
die Wilhelmstraße, die Friedrichstraße und die Lindenstraße zu. Der Platz lag
am Halleschen Tor, eines der 14 Tore der in der gleichen Zeit errichteten
Akzisemauer um die Stadt. Nach Passieren der Zollschranke wurden die Personen
und Waren über die drei vom Platz abgehenden Straßen in die verschiedenen
Stadtteile geleitet. Um den Platz herum entstanden im 19. Jahrhundert vier- bis
fünfgeschossige klassizistische Wohngebäude.
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Siegessäule auf dem Mehringplatz |
Im 2. Weltkrieg wurden der Platz und die Gebäude zerstört. Nur die Viktoria blieb auf der Siegessäule stehen. Durchschüsse konnten sie nicht vom Sockel holen. Das passierte erst 2006 bis 2014, als sie grundlegend saniert werden musste. Um den Platz entstanden nach dem Krieg Sozialwohnungen, zwei halbkreisförmige Wohnblöcke. Die Wilhelmstraße und die Lindenstraße wurden nicht mehr auf den Platz, sondern an ihm vorbei bis zum Landwehrkanal geführt. Der Name des Platzes wurde geändert. Preußische Siegeserinnerung zählte nicht mehr. Der kommunistisch dominierte Gesamtberliner Magistrat erkor den marxistischen Historiker Franz Mehring als Namensgeber. Er hatte 1906 bis 1911 an der in der Lindenstraße gelegenen Reichsparteischule der SPD unterrichtet.
Das Jüdische Museum (23) ist das nächste Zwischenziel. 1700 Jahre ist jüdisches Leben in Deutschland nachgewiesen. Im Jahr 321 bestimmte der römische Kaiser Konstantin, dass Juden städtische Ämter in Köln bekleiden dürfen und sollen. Das bedeutet, dass es damals schon eine jüdische Gemeinde gab. An diese lange Zeit erinnert das Jüdische Museum in Berlin an der Lindenstraße.
Es ist das zweite jüdische Museum in Berlin. Ein erstes Museum wurde
1933 neben der neuen Synagoge an der Oranienburger Straße eröffnet. Es hatte
nicht lange Bestand. 1938 wurde es von den Nazis geschlossen.
Das neue jüdische Museum wurde 1999 als Einrichtung des Landes Berlin gegründet. Es besteht aus zwei Teilen, dem historischen Kollegienhaus und dem modernen Neubau daneben.
Das historische Kollegienhaus stammt
von 1735 und beherbergte die königliche Justizverwaltung und das Kammergericht
für die Kurmark Brandenburg (das bis dahin im damaligen Kölln, heute Berlin-Mitte,
seinen Sitz hatte). Später (ab 1879) war nur noch das Kammergericht in dem
Palais.
1913
zog das Kammergericht an den Kleistpark in Schöneberg (wo es noch heute seinen
Sitz hat). In das Kollegienhaus zog das Evangelische Konsistorium Berlin ein
(oberste Verwaltungsbehörde der Evangelischen Kirche
Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz).
Im
2. Weltkrieg zerstört, wurde das Gebäude bis 1969 wiederaufgebaut und nahm das
stadtgeschichtliche Berlin Museum
auf.
1993
begann der Umbau für das Jüdische Museum
durch Daniel Libeskind.
Er
plante auch den neuen zweiten Teil des Museums im Stil des Dekonstruktivismus
(schiefe geometrische Gestaltung), ein zickzackförmiger Neubau mit einer Titan-Zink-Fassade, schiefen Ebenen, spitze
Winkel, leeren Räumen. Ergänzt wird der Bau durch einen Garten des Exils (ebenfalls
mit schiefem Grund, Betonsäulen und Olivenbäumen) und dem Holocaust-Turm (ein
hoher dunkler Raum, beklemmend und nicht erfassbar).
Gegenüber dem Jüdischen Museum ist seit 2012 die „W. Michael Blumenthal Akademie“ in der ehemaligen Halle des Blumengroßmarktes. Hier sind Räume des Museums für Veranstaltungen und das Archiv. Blumenthal war 1997 bis 2014 prominenter Direktor des Jüdischen Museums. Er war zuvor u.a. amerikanischer Finanzminister und Manager US-amerikanischer Unternehmen. Geboren und aufgewachsen war er in Berlin, bis er mit seiner jüdischen Familie 1939 vor den Nazis ins Ausland fliehen musste.
Jetzt folgt eine recht lange Teilstrecke zum Moritzplatz. Für mich war interessant, dass wir ein Stück durch ein Wohnungs-Quartier der ehemaligen GSW, „mein“ Wohnungsunternehmen, gegangen sind. Der von mir seinerzeit initiierte GSW-Mieterverein hatte in der Franz-Künstler-Straße sein Büro und von hier aus wurden auch die Gästewohnungen für Besucher der GSW-Mieter, die damals eingerichtet wurden, verwaltet.
Unterwegs kommen wir am Mittelpunkt Berlins (24) vorbei. Nur eine unscheinbare Steinplatte im Gras weist den Flächenmittelpunkt der Stadt an der Alexandrinenstraße aus.
An der Oranienstraße biegen wir von der Alexandrinenstraße ab und kommen an der St. Jacobi-Kirche (25) vorbei. Es ist eine der älteren, evangelischen Kirchen, 1884/85 von Friedrich-August Stüler (Schüler Karl Friedrich Schinkels, Direktor der preußischen Schlossbaukommission, Architekt zahlreicher Kirchen und Schlösser) entworfen, im Stil einer altchristlichen Basilika. Im 2. Weltkrieg zerstört wurde sie bis 1957 historisch getreu wiederhergestellt.
Unweit des Moritzplatzes, in der Ritterstraße, ist einer der traditionellen Gewerbehöfe Berlins. 1893 bis 1898 wurden die Gebäude für die Armaturenfabrik Butzke gebaut. Heute gehören sie als "Aqua-Höfe" zur GSG (Gewerbe-Siedlungs-Gesellshaft). Das Viertel um die Ritterstraße wurde damals das "Rollkutschenviertel" bezeichnet. Viele Unternehmen exportierten ihre Produkte und brachten sie mit Pferdefuhrwerken, den Rollkutschen, zum Bahnhof.
Der Moritzplatz (26) ist um 1860 zusammen mit dem Oranienplatz und dem Heinrichplatz auf dem ehemaligen Köpenicker Feld entstanden. Die Ackerflächen des Köpenicker Feldes wurden 1845 als Wohn-, Industrie- und Gewerbefläche entwickelt. Den Namen erhielt der Platz nach Moritz von Oranien, Statthalter der Niederlande (warum?). Der Platz ist jetzt ein eher langweiliges Areal.
Vor der Zerstörung im 2. Weltkrieg war er ein belebter Einkaufplatz u.a. mit einem Wertheim-Kaufhaus. Jetzt ist dort immer noch eine Brachfläche. Auf einer Brachfläche neben dem Moritzplatz entstanden 2009 die Prinzessinnengärten mit ökologischem Gartenbau. Zurzeit ist das Projekt umstritten, warum ist mir nicht ganz klar.
Neben dem Wertheim-Kaufhaus war eine Aschinger-Bierquelle mit einer Konzerthalle (1892 kamen die Brüder Aschinger von Schwaben nach Berlin). Nach dem 2. Weltkrieg wurde auf dem Trümmergrundstück eine Textilfabrik gebaut. Danach hatte die Klavierfabrik Bechstein dort ihren Sitz. 2011 zog der Aufbau Verlag in das Haus (ein DDR-Verlag, der 2008 von Matthias Koch übernommen wurde, Koch ist in Göttingen aufgewachsen).
Hier endet die erste Etappe.
* * *