Der Behrensbau
und die Anfänge der
Automobile in Berlin
Autostadt Berlin? Ja, die gab es einmal, vor mehr als 100 Jahren. Genaugenommen
war aber nicht Berlin die Autostadt, sondern Oberschöneweide, damals eine selbständige Gemeinde im Süd-Osten von
Berlin. Am 1. Oktober 1917, im 1. Weltkrieg, begann die AEG mit der Serienproduktion in der „Nationalen Automobilgesellschaft NAG“.
Der Behrensbau
Der Behrensturm ist Teil des von Peter Behrens geplanten Industriegebäudes an der Spree in Oberschöneweide. Er war damals das höchste Gebäude Deutschlands (70 Meter, nur Kirchtürme waren höher).
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Behrensbau und Behrensturm |
Heute sind das Hotel am Alexanderplatz und
die Treptowers mit 125 Metern die höchsten Gebäude Berlins. Nur der Fernsehturm
ist mit 368 Metern höher. Aber der ist nur ein Turm. In einigen Jahren soll
der neue Estrel-Tower des gleichnamigen Hotels in Neukölln mit 175 Metern
Berlins höchstes Gebäude werden.
Der Behrensbau in der Ostendstraße wurde 1917 eingeweiht. Damals war noch der 1. Weltkrieg im Gang und in
dem Jahr trat die USA gegen Deutschland und Österreich in den Krieg ein und in
der Sowjetunion begann die Revolution. Die Männer waren an der Front und die
Frauen mussten die Produktion in den Fabriken aufrechterhalten und die neuen
Fabriken bauen. Das war auch beim Bau der NAG-Fabrik so.
Das Gebäude hat einem U-förmigen
Grundriss und enthält mehrgeschossige Fabrikationshallen
und ein Bürogebäude. Blickpunkt und Mittelpunkt ist der quadratische Turm mit einer
Treppenhalle und umlaufenden Galerien, einem Atrium gleich. Die vier Geschoss
hohe Halle wurde mit einer Glasdecke abgeschlossen, sodass ein Lichthof
entstand.
Die Architektur ist Ausdruck der
„Neuen Sachlichkeit“, die auch den
Bauhausstil (Bauhaus Weimar und Dessau, von Walter Gropius gegründet) prägte.
Das Gebäude verfügte über eine
eigene Wasserversorgung mit einem Hochbehälter im zentralen Turmgebäude. Eine
Warmwasserheizungsanlage versorgte alle Büros und Produktionsräume. Es gab eine
eingebaute Klimaanlage für alle Büroräume, eine automatische Staubsaugeranlage,
eine eigene Fernsprechanlage mit 200 Anschlüssen, eine drei Kilometer lange
Gleisanlage mit elektrischen Drehscheiben sowie eine Kantine mit elektrischer
Flaschenreinigungsanlage, Kaffee- und Teekochapparaten.
Peter Behrens
Der Behrensbau ist nach seinem
Architekten Peter Behrens benannt.
Er war der „Haus- und Hofarchitekt“ der AEG, nachdem er 1907 künstlerischer
Berater der AEG wurde. Er gestaltete das
AEG-Erscheinungsbild, das Corporate Design des Konzerns, das AEG-Logo,
Werbeprospekte, Produktdesigns und auch die Fabrik- und Verwaltungsgebäude der
AEG.
Peter
Behrens (1868 – 1940) war Architekt (Autodidakt ohne
Architekturstudium), Maler und Designer.
Er war Direktor der Kunstgewerbeschule
Düsseldorf (1903 – 1907). Später (1921) wurde er an die Kunstakademie Düsseldorf berufen. Die
Innschrift „Dem deutschen Volke“ am
Berliner Reichstagsgebäude hat er (zusammen mit der Kalligraphin Anna
Simons) mit einer eigens dafür entworfenen Schrift gestaltet.
In
Berlin gründete er ein Architekturbüro in Steinstücken (nach dem 2. Weltkrieg Westberliner Exklave), in dem
zeitweise Walter Gropius, Ludwig Mies
van der Rohe und Le Corbusier Mitarbeiter waren.
Neben den Industriegebäuden entwarf er für
die AEG u.a. auch die Werksiedlung in Hennigsdorf bei Berlin, das
Mannesmann-Haus in Düsseldorf, das Verwaltungsgebäude der Continental in
Hannover, die Deutsche Botschaft in St. Petersburg
Emil, Erich und Walther Rathenau
Den Auftrag für den Behrensbau
gab noch der damalige Chef der AEG, Emil
Rathenau (1838 – 1915). Er war der Vater von Walther Rathenau.
Emil
Rathenau und der Maler Max Liebermann (Liebermann-Haus
am Brandenburger Tor, Liebermann-Villa am Wannsee) hatten den gleichen
Großvater, Josef Liebermann, ein Textilunternehmer. Der baute Maschinen zur
Herstellung von Kattun-Stoffen (Baumwoll-Gewebe) und durchbrach damit das
englische Monopol auf diese Stoffe. Er begründete das Familien-Vermögen.
Der
Sohn von Emil Rathenau, Walther Rathenau (1897 geboren, 1922
ermordet), übernahm leitende Positionen in der AEG. 1912 war er deren Aufsichtsratsvorsitzender. Er hatte mit der Zeit etwa 80 Aufsichtsratsposten in der deutschen Wirtschaft. Ab 1914 bis 1915 organisierte er die deutsche
Kriegsrohstoffversorgung. Nach dem Tod seines Vaters wurde Emil Rathenau zwar
„Präsident der AEG“, aber Nachfolger seines Vaters als Vorstandsvorsitzender
der AEG wurde ein Weggefährte des Vaters, Felix Deutsch.
Walter Rathenau wollte vor seinem Eintritt
in die AEG gern eine Offiziers- oder Diplomatenlaufbahn beginnen. Als Jude war
ihm das bei dem in Preußen herrschenden Antisemitismus verwehrt. Es gab von
1885 bis 1914 keinen jüdischen Reserveoffizier. Ebenso war den jüdischen Bürgern
im Kaiserreich meist eine Karriere im höheren Staatsdienst, in der Justiz oder
an Universitäten nicht möglich.
Walther Rathenau wurde in der
Familien-Grabstätte auf dem Waldfriedhof Oberschöneweide beigesetzt. Der
Friedhof war im Auftrag seines Vaters angelegt worden.
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Rathenau-Villa zwischen Kabelwerk und Behrensbau |
Edison hatte 1880 ein
Patent auf eine von ihm entwickelte Glühlampe
mit einem langlebigen Kohlefaden in einem Vakuum erhalten. Daran hatte er drei
Jahre lang geforscht, bis er eine Lebensdauer der Glühbirnen von 1.000 Stunden
erreichte. Er ergänzte die Erfindung mit der Entwicklung von Komponenten für
die Stromverbrauchsmessung und Stromverteilung. Insgesamt hat Edison über 1.000 Patente in unterschiedlichen
Bereichen der Stromerzeugung und Stromverteilung, der Telekommunikation und für
Verfahrenstechniken erhalten.
Das von Edison 1876 aufgebaute
Labor in New Jersey in den USA ist der Ursprung der „Edison General Electric
Company“. Daraus entstand die „General
Electic Company“.
In Springe bei Hannover
soll ein Glühbirnen-Denkmal an einen anderen Glühbirnen-Erfinder, Heinrich Göbel, erinnern. Dass er der Erfinder
der Glühbirne sei, ist aber nur eine Legende. Heinrich Göbel war ein 1848 in
die USA ausgewanderter Handwerker (Uhrmacher?) aus Springe. Er behauptete in
Amerika, dass er vor Edison eine Glühlampe mit einem Kohleglühfaden erfunden
habe, was erwiesenermaßen nicht stimmt. Seine Behauptung führte aber dazu, dass
andere Glühlampen-Hersteller das Patent von Edison angriffen, um eine
Stilllegung ihrer Produktion wegen Patentverletzung zu umgehen. Der Streit
dauert Jahre lang, ging dann zugunsten von Edison aus.
Das Unternehmen von Rathenau
erhielt zunächst den Namen „Deutsche
Edison-Gesellschaft für angewandte Elektrik“ mit einer Fabrik für
Glühlampen in Berlin-Mitte. Heute sind dort die „Edison-Höfe“. Es folgten Fabrikbauten
im Berliner Norden (Ortsteil Gesundbrunnen).
Die AEG in Oberschöneweide
Ab 1910 erfolgte die Entwicklung von Fabrik- und Verwaltungsgebäuden in Oberschöneweide. Zwei Großbetriebe entstanden dort, das „Kabelwerk Oberspree“ und das „Transformatorenwerk Oberspree“. Die Edison-Company war inzwischen zur „Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft AEG“ umfirmiert worden.
Oberschöneweide
ist heute ein Ortsteil des
Berliner Bezirks Treptow-Köpenick. Als „Schöne
Weyde“ wurde die Uferlandschaft der Spree schon zur Zeit des
brandenburgischen Kurfürsten Joachim II. (1505 – 1571, er führte die Reformation
in Brandenburg ein) bezeichnet.
Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte eine private
Grundstücksgesellschaft den Wilhelminenhof, eine ehemalige Domäne, baute
eine Brücke über die Spree und ein Eisenbahngleis (die Industriebahn Oberschöneweide). 1890 baute die AEG das erste Fabrikgebäude für eine Batteriefertigung (wegen des Gleisanschlusses). Es folgten das Kraftwerk Oberspree (das erste
Dampfturbinen-Drehstrom-Kraftwerk in Deutschland für die großflächige
Stromversorgung Berlins), ein Kabelwerk
mit einem Kupferwalzwerk, einer Drahtzieherei und einem Gummiwerk.
Das Gebiet wurde ein Schwerpunkt der Elektroindustrie. In unmittelbarer Nähe zu den
Fabriken entstanden die Mietshäuser für die Arbeiter.
Es war die Gründerzeit der industriellen Entwicklung des Deutschen
Kaiserreichs. Nicht zuletzt die hohen Reparationszahlungen Frankreichs an das
Deutsche Reich nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870 bis 1871 finanzierten
den industriellen Aufbau.
Mit der Industrie- und Wohnbebauung wurde
der Köpenicker Gutsbezirk eine selbständige
Landgemeinde (1898). Nach nur 22 Jahren wurde die kommunale Selbständigkeit
wieder beendet. Am 1. Oktober 1920 trat das Groß-Berlin Gesetz in Kraft. In die
bisherige Stadtgemeinde Berlin wurden sechs kreisfreie Städte und Teile der
umliegenden Landkreise eingemeindet.
So auch Oberschöneweide.
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Werbeplakat der NAG |
Die Automobil-Gesellschaft der AEG wurde von Emil Rathenau zusammen
mit seinem Sohn Walther 1901 als „Neue Automobilgesellschaft“ gegründet und
1915 „patriotisch“ in „Nationale Automobilgesellschaft“ umbenannt. Im Werk in
Oberschöneweide (1904 mit 1.400 Arbeitern) wurden PKWs, Lieferwagen, LKWs und
Omnibusse (damals auch schon Doppeldecker) gebaut. Sie wurden von Benzin- bzw.
Dieselmotoren angetrieben. Eine kurze Zeit wurden auch Elektromobile, hauptsächlich als Taxis (Elektrodroschken),
gebaut. Sie setzen sich aber nicht durch.
In der Zeit (1905 – 1910) baute
auch Siemens Elektroautos in Berlin (Siemens-Schuckert-Werke in
Berlin-Siemensstadt).
1934 beendete die AEG die
Automobilproduktion (1938 wurde mit dem Bau des Volkswagenwerks in Fallersleben
bei Braunschweig begonnen). Im Behrens-Bau wurden Elektronenröhren für
Radargeräte der Wehrmacht und Fernmeldekabel und Fernmeldeapparate gebaut.
Jetzt hat im Behrensbau u.a. die Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW ihren Campus Wilhelminenhof. In einer der ehemaligen Werkshallen erinnert eine Ausstellung „Unvollendete Metropole“ an die Entwicklung von „Groß Berlin“ und Ideen für die Weiterentwicklung der Region bis 2070.
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