Radreise von Berlin nach Danzig

September 2015

(4) Durch weites Land
Ustka (Stolpmünde  bis Wladyslawowo (Großendorf)

7. Tag: Ustka (Stolpmünde) – Leba (Leba)
Montag 21 September
Unterkunft Pension Holyday Leba

Die Strecke:       
Ustka (Stolpmünde) - Zapadle (Grasbruch) – Machowinko (Klein Machmin) - Balamatek (Alte Mühle) – Debina (Schönwalde) . Rowy (Rowe) - Retowo (Rotten) – Wysoka (Wittstock) - Gardna Mala (Klein Garde) - Gardna Wielka (Groß Garde) - Smoldzino (Schmolsin) - Zelazo (Selesen) – Wierzchocino (Virchenzin) - Witkowo (Vietkow) – Chocmirowko (Neu Gutzmerow) – Klecinko (Neu Klenzin) - Glowczyce (Glowitz) - Ciemino (Zemmin) - Izbica (Giesebitz) – Gac (Gatz) – Zarnowska (Czarnowska) – Leba (Leba)
98 Kilometer


Ustka (Stolpmünde) ist ein gemütlicher, kleiner Ort, mit vielen gut erhaltenen bzw. restaurierten Fachwerkhäusern  und natürlich auch einem Leuchtturm.  Eine Seenotrettungsstation von 1887 ist erhalten. 

Die Seenotrettung gab es schon  ab 1867.  
Die Informations-Tafel an dem Haus beschreibt auch in Deutsch, dass  der Backsteinbau seinerzeit mit Spenden finanziert wurde, die Bedienstete des Post- und Telegrafenamtes anlässlich des 90. Geburtstags Kaiser Wilhelm I.  sammelten. 
Vorgänger waren zwei Holzbaracken auf jeder Seite des Hafens. Wegen der häufigen Strandunglücke bestanden damals entlang der Küste alle 10 km solche Stationen
Weiter heißt es: „In der Station gab es einen Pferdestall  und einen Wagen mit Spezialrädern, die nicht im Sand versanken. Der Wagen diente als Transportmittel für ein Zehn-Mann-Ruderboot und eine Raketenabschussanlage für Seile, die der Bergung der Schiffbrüchigen dienten. 
In der Zeit von 1867 bis 1945 hat der freiwillige Seenotrettungsdienst von Ustka 166 Menschen gerettet. Für jeden Geretteten haben die Einsatzkräfte 3 Mark Prämie erhalten. Das Gebäude wird nach wie vor vom Rettungsdienst genutzt.“ 

An den Seenotrettungsdienst erinnere ich mich noch aus meiner Volksschulzeit. Zur Winterzeit wurde für den Deutschen Seenotrettungsdienst gesammelt. Sammelbüchse war das Modell eines Rettungs-Ruderbootes.

Auch das gab es im Hafen, wie fast in allen größeren Häfen an der Ostsee: Ein historischer Schiffsnachbau fuhr mit den Urlaubern aufs Meer. Und am Hafen wurde natürlich fangfrischer Ostseefisch verkauft.



Ustka (Stolpmünde)
Stolpmünde war ab 1382 Mitglied der Hanse.  1925 war der Ort ein bedeutender Fischereihafen (die  Stolpmünder Fischereiflotte hatte über 102 Schiffe).

1945 wurde der Hafen zum Umsteigeort für Tausende von Flüchtlingen. Bis zum 8. März 1945 wurden von Stolpmünde aus fast 33.000 Menschen mit Schiffen in Richtung Westen gebracht.

Am 30. Januar 1945 wurde das ehemalige Passagierschiff Wilhelm Gustloff  mit drei Torpedotreffern eines sowjetischen U-Bootes vor der Küste versenkt. Es sank mit 8000 bis 10000 Menschen an Bord, von denen nur 1239 gerettet werden konnten. Vor dem Hafen von Stolpmünde wurde in der Nacht vom 9. zum 10. Februar 1945 auch die Steuben mit etwa 2.800 Verwundeten sowie medizinischem Personal, Besatzung und Flüchtlingen durch Torpedos eines sowjetischen U-Bootes versenkt.

 

Von Ustka führte der Weg durch Wald, Wiesen und Äcker ins Landesinnere. Hier gab es keine Urlaubsorte und Urlauber mehr. Die Besiedlung nahm merklich ab, ich traf unterwegs nur noch wenige Leute. Extensive Landwirtschaft mit viel Milchvieh auf der Weide. Milch und Butter müssen hier nach Natur schmecken. In den Dörfern der Geruch, wie ich ihn aus der Kindheit im Dorf kenne, von Kühen und Silagen, aber auch von Jauchegräben, das Grunzen und der Dunst aus Schweineställen.

Fünf Landschaftsräume

Die Landschaftsräume, durch die ich gefahren bin, unterschieden sich deutlich. Hier, im Osten,  war es das weite Land mit viel  natürlicher Landschaft und wenig besiedelt.

Davor war der Küstenabschnitt bis etwa Ustka (Stolpmünde) mit Tourismus und Urlaubern. Jedes Dorf hatte Ferieneinrichtungen und zwischen den Dörfern waren in den Wäldern die Ferienhaus-Kolonien und Campingplätze. Breite Sandstrände soweit das Auge sehen konnte. Gut ausgebaute Straßen und Radwege. Es waren noch viele Urlauber und Badegäste unterwegs. Insbesondere in Kolberg war die lange Promenade voller Menschen. Auch viele deutsche Badegäste, die hier (preiswerter als in Deutschland) kurten und Urlaub machten. Aber man merkte auch, dass es Nachsaison war. Viele Pensionen und Restaurants hatten schon geschlossen (auch viele Pensionen, in denen ich übernachten wollte). Wie viel mehr Leben haben die Orte dann erst zur Sommerzeit.

Am Anfang der Reise kam ich durch das Berliner Umland bis Strausberg, verkehrlich gut erschlossen, landwirtschaftlich intensiv genutzt, mit viel Erholungsraum,

Dann kam der Oderbruch bis Stettin, eine weitgehend naturbelassene Flusslandschaft.

Am Ende der Fahrt kam dann der großstädtische Raum der zusammengewachsenen Dreistadt Gdingen, Zoppot und Danzig.


                        
Naturschutzgebiet bei Rowe

Bei Rowy (Rowe) begann das Naturschutzgebiet Slowinski Park Narodowy (Slowinski Naturpark) mit dem Jezioro Gardno (Gardno-See) und Jezioro Lebsko (Leba-See), die durch Bildung einer Nehrung von der Ostsee abgetrennt wurden. Der Weg durch das Naturschutzgebiet war schön, flach, einsam, aber auch sumpfig und entsprechend waren die Lochplatten-Wege. Es war das zweite große Naturschutzgebiet, durch das die Radtour führte. Zu Beginn der Reise war das Wolliner Naturschutzgebiet an der Odermündung hinter Misdroy.

Der Weg verließ das Naturschutzgebiet, führte entlang einer befahrenen Landstraße (mit neuem Radweg – der Radreiseführer hat noch die Warnung vor der verkehrsreichen Wegeführung)  über Glowczyce (Glowitz) um dann wieder auf das Naturschutzgebiet zu stoßen, mit den Wanderdünen von Leba.

Die Bewohner dieser Gegend waren ursprünglich zum größten Teil Kaschuben. Bis 1827 wurde noch in kaschubisch gepredigt und unterrichtet. Im Jahre 1905 jedoch gab es niemand mehr, der Kaschubisch sprach.Das Dorf Glowczyce (Glowitz) galt früher als Mittelpunkt der Kaschubei.
Später, hinter Krockow (siehe unten)  fiel die Gebiets-Ausschilderung in polnischer und kaschubischer Sprache auf.

Exkurs:
Slawen, Sorben, Wenden und Kaschuben:

Slawen sind neben den Germanen und Romanen eine der Hauptgruppen der Indoeuropäischen Sprachfamilie (auch: indogermanisch -  Verbreitungsgebiet verwandter Sprachgruppen von Indien/Sri Lanka bis Island). Etwa im 5. Jahrhundert (Völkerwanderung – Westwanderung germanischer Stämme) zogen die Slawen nach Westen in den Oder-Weichsel-Raum und bis über die Elbe ins heutige Deutschland bis an die Saale.

Wenden, Sorben, Kaschuben sind westslawische Stämme. Nachfahren  der Sorben leben heute in der Lausitz, Wenden (z.T. als Elbslawen bezeichnet) im niedersächsischen Wendland, Kaschuben in Ostpreußen. („windisch“ dagegen bezeichnet Slowenen im Alpenraum, die zu den Südslawen gehören, in Ortsnamen erhalten z.B. Windisch Graetz).

Die Goten sind ein ostgermanisches Volk, das zur Zeitenwende  im Gebiet der Weichsel siedelte. Der Ostgotenkönig Theoderich eroberte 488 Italien. Nach seinem Tod zerfiel das Ostgotenreich.

In Leba bin ich so spät angekommen (der Weg durch das Naturschutzgebiet hat aufgehalten), dass ich den Besuch der Wanderdünen auf den nächsten Morgen verschoben habe. 


8. Tag: Leba (Leba) - Wladyslawowo (Großendorf)
Dienstag 22. September
Übernachtung Pension Dom Goscinny Harpun

Die Strecke:
Leba (Leba) - Nowecin  (Neuhof) –Szczenurze (Schönehr) –Sarbsk (Sarbske) –  Sasino (Sassin) - Ciekocinko (Zackenzin) -  Choczewo (Gotendorf) –Lublewko (Klein Lüblow) – Sluchowo (Schlochow) – Wierzchucino (Wierschutzin) –-Zarnowiec  (Zarnowitz) - Krokowa (Krockow) – Slawoszyno (Slawoschin) – Lebcz (Lobsch) – Swarzewo (Schwarzau) - Wladyslawowo (Großendorf)
95 Kilometer


Am frühen Morgen bin ich zuerst zu den Sanddünen von Leba gefahren, ein gutes Stück zurück nach Westen durch den Wald. Ich war an diesem Tag der erste Besucher. Erst auf dem Rückweg kam mir der erste Park-Elektrobus mit Touristen entgegen. Die Sanddünen sind beeindruckend. Urplötzlich steht man vor der ersten Düne, noch mit den abgestorbenen Bäumen. Die Hauptdüne erstreckt sich dann km-weit
            
Die Sanddünen von Leba

In der Nähe von Łeba befinden sich im  Slowinski Park Narodowy, zwischen Ostsee und Jezioro Lebsko (Leba-See), die ausgedehnte Wanderdünen,  mit bis zu 56 Metern Höhe.  Jedes Jahr wandern die vor 5.000 Jahren entstandenen Dünen ca. 10 Meter landeinwärts. Im 13. bis 14. Jh. befand sich die Stadt Leba 2 km nordwestlich und musste wegen der Dünenbewegungen immer wieder weichen. 

Westlich von Leba befand sich auch ein großes Versuchsgelände zur Erprobung weitreichender Waffensysteme. Auf diesem Areal wurden unter anderem zwischen 1941 und 1945 die deutschen Fernraketen Rheinbote und Rheintochter zu Versuchszwecken gestartet. Hier befand sich auch die Gegenmessstelle für die V2-Raketen, die in Peenemünde abgeschossen wurden. Von dort bis hierher waren es 250 km, die damaligen Maximalreichweite der Raketen.

 

Nach Leba ging es etwas von der Ostsee entfernt immer Richtung Osten. Wie am Vortag dünn besiedeltes, weites, hügeliges Land, mit viel Wald und großen Ackerflächen.

Mehr oder weniger gut erhaltene herrschaftliche Gutshäuser erinnern an die Zeit der Gutsbesitzer, in Glowczyce (Glowitz) (siehe oben) und hier in Ciekocinko (Zackenzin).

Hinter Wierzchucino (Wierschutzin) fiel ein deutscher Friedhof mit Gefallenen-Denkmal auf, der von  Deutschstämmigen auch in polnischer Zeit noch genutzt wurde. Der polnische Friedhof war einen halben km weiter entfernt neu angelegt worden.

Zarnowiec (Zarnowitz), der nächste Ort, muss eine deutschfreundliche Bevölkerung haben. Eine Gedenktafel erinnert ausdrücklich an die 1909 errichtete deutsche Grundschule  und auf dem Friedhof neben der Klosterkirche sind deutsche und polnische Gräber nebeneinander  zu finden.
Nicht so freundlich war eine Nonne, die mir das Fotografieren des Benediktinerklosters verbieten wollte, weil das Nebengebäude der Kirche  wieder eine „klauzura“ sei (das Foto hatte ich aber schon).

           

Das Benediktinerkloster stammt aus dem 13. Jh.  Ursprünglich war es eine  vom Kloster Oliva (siehe Danzig) gegründete Filiale für Nonnen  des Zisterzienserklosters (Gründung vor 1235). Das Kloster war gut ausgestattet, ihm gehörten (1583) sieben Dörfer, der Zarnowitzer See und Wiesen an der Ostsee. Überwiegend waren es Töchter des westpreußischen Adels, welche hier Unterkunft  fanden. Auch die Tochter des Woiwoden  (Herzog) von Belgrad trat 1284 in das Kloster ein und führte ihm als Mitgift das ihrem Vater gehörende Gut Karotschin zu. Nach der Reformationszeit wurde das Kloster in ein Benediktiner-Nonnenkloster umgewandelt.  Als Folge des preußischen Kulturkampfes wurde es Ende des 19. Jh. geschlossen (Auflösung aller Klöster - mit Ausnahme derjenigen, die Kranke pflegten -  durch das Klostergesetz 1875).

           

Dann kam Krokowa (Krockow) mit dem Schloss der pommerschen Adelsfamilie des Grafen Krockow.

Auf dem Schloss Krockow war der Philosoph Johann Gottlieb Fichte als Hauslehrer angestellt (1791-1792).

1772, nach der ersten Teilung Polens schwört der Gutsherr von Krockow Preußen die Treue. 1920, nach dem Wiederentstehen Polens nimmt die Familie von Krockow die polnische Staatsbürgerschaft an. 1939 kämpft einer der Krockows zunächst als polnischer Offizier gegen die Deutschen und wird dann Offizier der Wehrmacht. Er und zwei weitere Brüder fallen im Krieg als deutsche Soldaten.

Das zerstörte Schloss wurde 1994 wieder aufgebaut und beherbergt heute die deutsch-polnische Stiftung Europäische Begegnung.

 

Von Krockowa (Krockow) aus führte der Radweg auf einem ehemaligen Gleisdamm Richtung Osten zur Danziger Bucht bis nördlich der Stadt Puck (Putzig). Ein schöner und ebener Weg, allerdings mit ordentlichem Ostwind. Von dort entlang der Danziger Bucht Richtung Norden nach Wladyslawowo ( Großendorf). Es ist der größte Fischereihafen Polens.