Eine Fahrt in die Normandie und Bretagne
2. Etappe: Rouen
Rouen
Rouen wurde wie die gesamte Küstenregion immer wieder von den Wikingern überfallen, die aus Skandinavien (Schweden, Norwegen, Dänemark) kamen. Um die Wikinger-Überfälle zu beenden, gab der westfränkische König dem Wikinger-Führer Rollo das Gebiet der Normandie als Siedlungsgebiet zu Lehen. Rollo ließ sich 911 taufen und wurde der erste Herzog der Normandie, zu der damals auch die jetzt englischen Kanalinseln gehörten.
Andere skandinavische Händler und Krieger stießen nach Südosten vor, entlang der Flüsse bis zum Baltikum (Düna) , Weißrussland und Ukraine (Dnepr), westliches Russland (Wolga, Don). Sie wurden als Waräger bezeichnet.
Das Herzogtum wurde nach den Eroberern
durch das „nordischen Volk“ als Normandie
bezeichnet. Es entsprach etwa der heutigen Normandie. Bis in das 13.
Jahrhundert war sie ein unabhängiges Herzogtum.
Von
der Normandie aus wurde England erobert.
Die Herzöge der Normandie wurden die Könige Englands. Das
anglo-normannische Reich bestand von 1066 – 1204. Zeitweise kontrollierten die
Könige von England auch zusätzlich ganz Westfrankreich, das war in der Zeit des
Angevinischen Reiches.
Das Königreich Frankreich (Kerngebiet
um Paris) eroberte 1204 die Normandie (außer den Kanal-Inseln). Die eroberten
Gebiete wurden als Krondomäne Eigentum des französischen Königs. Er wurde damit
der größte Landbesitzer des Reiches. Formal bestand das Herzogtum Normandie zunächst
weiter, als Herzöge wurden aber meist Familienangehörige des Königs ernannt.
1469 wurde das Herzogtum aufgelöst und dem Zentralstaat eingegliedert.
Nach der französischen Revolution wurde
die Normandie 1789 eines der 83
Departements des Zentralstaates.
1801 erhielten die
Gemeinden durch Napoleon ihre kommunale Selbstverwaltung (eine der Reformen
Napoleons).
Seit
2016 ist die Normandie eine Region
mit den Departements Calvados (Präfektur Caen), Eure (Präfektur Evreux), Manche
(Präfektur Saint-Lo), Orne (Präfektur Alencon) und Seine-Maritim (Präfektur
Rouen).
Die Normandie ist für ihren Calvados,
ein Branntwein aus Äpfeln, bekannt. Etwa 10 Millionen Apfelbäume sollen in der
Region stehen. Zunächst wird aus Äpfeln bestimmter Sorten der Cidre (Apfelwein) hergestellt. Er wird zwei
Jahre in Fässern gelagert und dann zweifach gebrannt.
Rouen war Anfang des 16. Jahrhunderts eine wohlhabende Stadt und ein wichtiger Hafen für den Brasilien-Handel.
Der französische
König ließ 1555 in der Bucht von (heute) Rio de Janeiro eine französische
Kolonie gründen. 10 Jahre später wurden die Franzosen von den Portugiesen
vertrieben.
1492 war Amerika
entdeckt worden.
1517 hatte Martin
Luther seine Thesen gegen den Ablasshandel veröffentlicht.
Mitte des 15.
Jahrhunderts begann der Niedergang der Hanse.
1618 bis 1648 war der Dreißigjährige Krieg.
Die Reformation Luthers und Calvins führten in Rouen zunächst zu einer evangelisch-lutherischen und danach calvinistischen Gemeinde. Nach Aufhebung des Edikts von Nantes 1685 (Aufhebung der Religionsfreiheit für Protestanten (Hugenotten) im katholischen Frankreich) durch König Ludwig XIV. wanderten drei Viertel der 80.000 Einwohner aus.
Rouen ist Hauptstadt der Region Normandie und des Departements Seine-Maritim.
Ab Rouen ist die Seine mit Seeschiffen befahrbar. An der Mündung der Seine in den Ärmelkanal der Nordsee liegt die Hafenstadt Le Havre.
1932 wurde in Rouen der erste Laden der Monoprix-Ladenkette (Monoprix: einheitlicher Preis) eröffnet (2016: 536 Läden in 200 Städten in Frankreich). Gründer der Kette waren die Eigentümer Bader und Heilbronn des Pariser Kaufhauses Galleries Lafayette.
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Der Stadtrundgang |
Spaziergang durch die Altstadt Vieux Roue
Rouen war im späten Mittelalter und danach (13. – 16. Jahrhundert) eine Großstadt nach europäischem Maßstab (40.000 Einwohner). Zahlreiche kirchliche und weltliche Bauten stammen aus der Zeit. Etwa 2.000 Fachwerkhäuser sind erhalten geblieben (trotz englischer Bombardierung im 2. Weltkrieg – die Stadt war durch deutsches Militär besetzt -, ein Viertel der Altstadt wurde zerstört). Etwa noch 100 Fachwerkhäuser stammen aus dem 16. Jahrhundert, einige aus dem 14. Jahrhundert. Noch im 18. und 19. Jahrhundert wurden Häuser im Fachwerkstil gebaut.
Zum
Vergleich: Das Knochenhauer Amtshaus in Hildesheim wurde 1529 gebaut (das
heutige Gebäude ist ein Nachbau). Das älteste in Hildesheim noch erhaltene
Fachwerkhaus ist das Waffenschmiedehaus von 1548.
(1) (2) Altstadt
Wir gehen durch die Fachwerkhäuser-Straßen Rue Saint Patrice
und Rue Cauchoise. Es sind nicht die
einzigen Fachwerkhaus-Straßen (8).
Alter Markt. Ein ehemaliger Marktplatz, auf dem Jeanne d’Arc 1431 auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Ein großes Kreuz erinnert an die Verbrennung und an ihre Rehabilitierung. Seit 2012 wird im Museum Jeanne-d’Arc (neben der Kathedrale, nicht am Marktplatz) ihr Leben beschrieben.
Am Marktplatz ist das älteste Restaurant La Couronne.
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Alter Markt |
Jeanne d’Arc – Johanna von Orléans –
ist eine französische Nationalheldin und Heilige der katholischen Kirche. Sie
wurde um 1412 als Jeanne Darc
geboren. Die Schreibweise d’Arc tauchte erst später auf, um die Familie „zu
adeln“.
Es war die Zeit des hundertjährigen Krieges
zwischen England und Frankreich. Große Teile Frankreichs (neben der Normandie)
waren von England besetzt.
Mit
jungen Jahren will Jeanne Visionen gehabt haben, in denen ihr der Erzengel
Michael und andere Heilige den Befehl gegeben hätten, Frankreich von den
Engländern zu befreien und den Thronfolger auf den französischen Königsthron zu
heben. Sie konnte den Thronfolger und den Kronrat überzeugen, ihr eine Rüstung
und einige kampferfahrene Leute zu geben. Ihr erster Auftrag war, Proviant in
das eingeschlossene Orleans zu bringen. Sie schaffte das und konnte die
Eingeschlossenen zu einem Ausbruch motivieren, der gelang. Weitere Erfolge
konnten königstreue Kämpfer südlich der Loire mit ihrer Hilfe erzielen.
Schließlich
siegten die Königstreuen und Jean konnte an der Salbung König Karl VII. in
Reims teilnehmen (1429). Die von Jeanne d’Arc danach betriebene Befreiung von
Paris blieb erfolglos. Der König wollte Frieden, reduzierte die Armee und
entließ Jeanne d’Arc.
Sie
wurde von Gegnern des Königs festgenommen und von dem Herzog von Burgund an den
englischen Herzog von Bedford verkauft, der sie in Rouen (das zum von England
besetzten Teil Frankreichs gehörte) gefangen hielt. In einem Prozess der
katholischen Kirche wurde sie wegen Aberglaubens angeklagt und schließlich zum
Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt. 1431 wurde sie auf dem Marktplatz von
Rouen verbrannt und ihre Asche in die Seine gestreut.
Nach
Beendigung des hundertjährigen Krieges und der Vertreibung der Engländer aus
Frankreich begann ein Prozess zur Rehabilitierung Jeanne d’Arc. 1456 erging das
Rehabilitierungsurteil. 1920 wurde sie heiliggesprochen. Sie wurde Schutzpatronin Frankreichs und der Städte
Rouen und Orléans.
Unter dem Marktplatz entdeckte man die während der französischen Revolution zerstörte Kirche Saint-Sauveur.
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Grundmauern der zerstörten Kirche Saint-Sauveur |
(5) Haus Bourgtheroulde
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Haus Bourgtheroulde |
Das Parlement ist kein Parlament,
sondern ein Gerichtshof, der sich in der Normandie aus dem Institut des Echiquier entwickelte.
Das erste Echiquier wurde von dem Wikinger-Führer Rollo im 10.
Jahrhundert eingerichtet, als er der erste Herzog der Normandie wurde. Echiquier war eine Art Rechnungskammer (Schatzamt, manchmal wird auch die Bezeichnung
Finanzminister verwandt), die die ordnungsmäßige Verwaltung der Domäne des
Herzogs (also seinen Ländereien) überwachte.
Echiquier ist wörtlich übersetzt ein Schachbrett. Der Begriff geht auf den Tisch zurück, dessen Tuch schachbrettartig eingeteilt war und das für die Abrechnung von Steuern und Gebühren verwendet wurde.
Mit der Zeit entwickelte sich aus der Überwachung der Verwaltung eine Finanz- und Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Das Echiquier de Normandie tagte
traditionell an unterschiedlichen Orten (zuletzt in Rouen und Caen). Der
französische König Ludwig XII. bestimmt
1499, das Echiquier nur noch in Rouen
abzuhalten. Im gleichen Jahr wurde mit dem Bau des Gebäudes für das Echiquier begonnen.
1515 änderte der Nachfolger Ludwig XII. die Bezeichnung Echiquier in Parlement, wohl in Anpassung an die Gerichts-Institution in Frankreich.
Die Zusammensetzung des Gerichts war im Laufe der Zeit unterschiedlich. Ludwig XII. bestimmte die Besetzung des Gerichts mit je zwei Geistlichen und Laien als Präsidenten, 13 geistlichen und 15 Laienberater, je einem Beamten für das Zivilrecht und für das Strafrecht.
Das Parlement bestand bis zum Ende des
Ancien Régime (Alter Staat, die Königreiche bis zum Beginn der französischen
Revolution 1789).
Belfriede (französisch Belefroi) waren hohe Glockentürme, die im Mittelalter insbesondere in Belgien und Nordfrankreich gebaut wurden. Sie galten als Zeichen bürgerlicher Macht. Als sicherster Ort der Stadt beherbergte ein Belfried meist die Schatzkammer, das Stadtarchiv oder auch das Gefängnis. Er war ein Wachturm, von dem aus ein Türmer Feinde oder auch Stadtbrände melden konnte. Eine Stadtglocke läutete zum Öffnen und Schließen der Stadttore. Ab dem 16. Jahrhundert wurde die Stadtglocke oft durch ein Carillon, ein Glockenspiel, erweitert.
Das Uhrwerk der astronomischen Uhr wurde 1389 hergestellt und ist eines der ältesten in ganz Frankreich.
Astronomische Uhren zeigen außer der
Zeit u.a. auch die Lage von Sonne und Mond, Mondphasen und Wochentage an. In
der Renaissance (15. und 16. Jahrhundert) wurden große astronomische Uhren an
vielen Rathäusern und Türmen angebracht.
1394
wurde eine der ältesten Astronomische Uhren in Deutschland für die Kirche St.
Nikolai in Stralsund angefertigt. In Norddeutschland waren es Hanse-Uhren, in
Süddeutschland Reichstädtische Uhren.
Der Turm neben dem Torbogen ist aus dem 14. und 15. Jahrhundert und gehörte zum alten Rathaus von Rouen.
(9) Kathedrale Notre-Dame de l’Assomption
Claude Monet hat eine Serie von 33 Bildern der Kathedrale gemalt, in
denen er die unterschiedliche Belichtung der Kathedralen-Fassade zu
verschiedenen Tageszeiten festhielt.
In einer Lichtschau wird die Kathedrale nach Sonnenuntergang mit tanzenden
Farben angestrahlt. Darauf haben wir allerdings nicht gewartet. Es war uns nach
dem langen Stadtrundgang zu spät.
Die heutige Kathedrale hat vier Querschiffarme und sieben Türme im gotischen Stil. Sie steht auf den Grundmauern eines romanischen Vorgängerbaus. Der gotische Neubau begann um 1180. Er wurde 1506 mit dem Bau des sogen. Butterturms beendet. Bauschäden und Feuer führten im 16. Jahrhundert zu umfassenden Erneuerungen. Die letzte wesentliche Veränderung erfolgte 1877, als nach einem erneuten Brand die Turmspitze des Vierungsturms aus Gusseisen erneuert wurde. Mit knapp 152 Metern war die Kathedrale bis zum Bau des Kölner Doms (1880), das höchste Gebäude der Welt.
Der sechsgeschossige Turm an der Westfassade wurde 1506 fertiggestellt. Seinen Namen Tour de Beurre - Butterturm erhielt er wegen seiner Baufinanzierung. Die eine Version ist, dass durch die Aufhebung des Verbots, während der Fastenzeit Butter zu verzehren, aus dem Verkauf von Butter der Turmbau finanziert werden konnte. Eine andere Version besagt, dass die Finanzierung durch Ablasszahlungen reicher Bürger erfolgte, die sich damit von der Sünde befreiten, in der Fastenzeit nicht auf Fett zu verzichten.
Die Kirche ist ein Hauptwerk der spätgotischen Architektur, gebaut 1437 bis 1517.
Die Dachböden wurden nach Aufhebung des Friedhofs zu vollen Etagen ausgebaut und in ein Schulgebäude umgewandelt. Heute sind dort Kunstateliers.
Flamboyantgotik, letzte Phase der Gotik
in Frankreich und Flandern. Formen des Maßwerks (filigrane Steinmetzarbeiten
zur Fassung von Fenstern und Balustraden) erinnern an Flammen (Flamboyant:
Flammen).
Begonnen wurde mit dem Bau 1318, unterbrochen durch den hundertjährigen Krieg zwischen Frankreich und England (1337 – 1453), fertiggestellt im 16. Jahrhundert. Die Kirche wurde dem Heiligen Quen geweiht.
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Die Kathedrale |
Eine erste Kirche, dem Apostel Petrus (Saint-Pierre) geweiht, wurde im 7.
Jahrhundert errichtet. 640 wurde der Berater des Frankenkönigs, Quen (lateinisch Audoenos, germanisch
Autwin), zum Bischof von Rouen ernannt.
Er wurde in der Kirche Saint-Pierre beerdigt und später als Heiliger verehrt. Ihm zu Ehren wurde die Petruskirche später als
Kirche des Heiligen Quen benannt.
Die Kirche hat die größte Anzahl von Glasfenstern aus dem 14. Jahrhundert in Frankreich, die sich in den Chorkapellen befinden. Im Hauptschiff sind die Verglasungen aus dem 15. und 16. Jahrhundert.
Das Grab des Heiligen Quen
wurde ein Pilgerziel. Das Kloster wurde wohlhabend. Es hatte seit dem 9.
Jahrhundert Grundbesitz im Tal des Seine-Nebenflusses Epte , u.a. Weinberge. Im 17. Jahrhundert besaß das Kloster in Giverny eines von
zwei Lehen. Zu dem Lehen gehörte die Kirche Sainte-Radegonde aus dem 11.
Jahrhundert, die wir in Giverny besucht haben.