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Kreuzfahrt Westeuropa
Mai 2019

6. Etappe Brügge

- Landgang Brügge 13. Mai
   Stadtrundgang und Grachtenfahrt

            Exkurs: Belgische Geschichte


Landgang Brügge Montag 13. Mai

Die Wetterlage war für Brügge mit 12 Grad und teilweise Sonnenschein angekündigt. Das war zwar nicht warm, aber für den Stadtausflug gerade richtig. Und wenigstens kein Regen.

Angelegt hatte das Kreuzfahrtschiff am Morgen in Zeebrügge (französische und offizielle Schreibweise, deutsch: Seebrügge), dem Hafen von Brügge. Zeebrügge gehört zur Stadt Brügge (anders als der Hafen von Porto, Leixõnes, der zur Stadt Matosinhos gehört).

Das Schiff hatte einen Bus-Shuttle angeboten, den wir nutzen wollten. Aber es dauerte. Die Busse waren wohl alle zusammen gerade abgefahren (man hätte die Busse ja auch zeitlich gestaffelt bestellen können). Bis die wieder am Schiff sein würden, wäre eine Stunde vergangen. Also haben wir uns am Hafenausgang ein Taxi rufen lassen. Mit dem haben wir auch die Rückfahrt verabredet und es klappte.        

Der Hafen Zeebrügge  ist nach Antwerpen und Gent der drittgrößte Hafen Belgiens (an anderer Stelle ist es der zweitgrößte).

Der Bau des Überseehafens Zeebrügge begann 1892, um der beginnenden Industrie einen Zugang zur Nordsee, insbesondere für den Handel mit England zu schaffen.

Vom Hafen Zeebrügge wurde von 1896 bis 1905 auch der 12 Kilometer lange  Boudewijnkanaal“ gebaut (der Kanal wurde 1951 nach dem damaligen König Boudoin benannt). Genutzt wird er für den Binnenschiffsverkehr. Man könnte eigentlich auch vom Kreuzfahrthafen mit einem Boot in die Innenstadt von Brügge fahren. Ich habe aber kein solches Angebot gefunden (nur für Kreuzfahrer lohnt sich das wohl nicht).

Brügge ist die Hauptstadt der belgischen Provinz Westflandern.
120.000 Einwohner.

Am Grote Markt

Brügges wirtschaftliche Entwicklung begann im 12. Jahrhundert, nachdem eine Sturmflut eine Seeverbindung der Stadt zur Nordsee schaffte. Dadurch konnte sich Brügge im 13. bis 15. Jh. zu einer europäischen Handelsmetropole entwickeln. Die Nordsee hatte den Wohlstand gebracht. Sie hat ihn aber auch wieder genommen. Durch die Versandung des Nordseezugangs Ende des 15. Jh. begann der wirtschaftliche Niedergang. Mitte des 19. Jh. war Brügge die ärmste Stadt in Belgien (dadurch sind viele alte Gebäude erhalten geblieben).Erst mit dem Seehafen Zeebrügge Ende des 19. Jh. begann eine neue wirtschaftliche Entwicklung.

Am Grote Markt

Um 1200 fand in Brügge eine erste Handelsmesse statt. Gehandelt wurden Wolle aus England für die Tuchproduktion (Flandern war Zentrum der europäischen Tuchindustrie), Lammfelle aus Spanien, Wein aus Frankreich, Gobelins aus Flandern. Brügge wurde zu einem Zentrum der Textilherstellung und Textilveredelung.

Etwa zu der Zeit entstand auch der Messeplatz Leipzig (Schutzbrief von 1165, dass im Umkreis von 1 Meile – 12 km – keine für die Stadt abträglichen Jahrmärkte abgehalten werden durften).

1409 wurde in Brügge die erste Börse gegründet. Es handelte sich um eine Wechselbörse für die Fernhändler in der Stadt Brügge. Wechsel waren übertragbar und damit handelbar. Brügge war ein  Zentrum des europäischen Fernhandels.

Am Grote Markt

Die erste Börse in Deutschland entstand erst ein halbes Jahrhundert später 1549 in Augsburg als Währungsbörse (Tausch von Währungen).
           
Ab dem 13. Jahrhundert war die Hanse in Brügge vertreten.
Hier war eines der vier Hanse-Kontore (neben dem „Peterhof“ im russischen Nowgorod, der „Deutschen Brücke“  im norwegischen Bergen und dem „Stalhof“ in London). Es bestand eine Zwangsmitgliedschaft für alle aus den Hanse-Städten in Brügge tätigen Kaufleute.
Anders als in den anderen Kontor-Städten waren die bis zu 1.000 Kaufleute nicht in einem Kontor-Gebäude untergebracht, sie hatten eigene Häuser (auch weil eine exterritoriale Siedlung nicht genehmigt wurde).
Versammlungsort der Hanse war der Remter (Refektorium – Speisesaal) des Karmeliterordens in Brügge. Das Kloster bestand ab 1258 an der Ezelstraat (nördlich des Zentrums). 1579 wurde es von Calvinisten zerstört.
Das Verhältnis zwischen der Stadt Brügge und der Hanse war nicht immer ungetrübt. Die Hanse verhängte mehrmals ein Handelsboykott gegen Brügge, um ihre Privilegien (von 1252 und 1253) zu erhalten.
1520 wurde das Kontor nach Antwerpen verlegt.
An die Hanse-Kaufleute in Brügge erinnert noch der Oosterlingenplein (zwischen den Kanälen Gouden-Handrei und Spiegelrei – nördlich des Zentrums). Osterlinge waren die Leute aus dem Osten, aus Deutschland.

Brügge wurde im 14. Jh. Residenzstadt, als die Grafschaft Flandern mit dem französischen Herzogtum Burgund vereint wurde.
Residenzstadt bedeutete, das der Herzog und sein Hof (im Jahr 1474 waren das mindestens 600 Personen) zeitweilig hier (auf der Burg, später im Prinzenhof) residierten (sie reisten, wie damals üblich, in ihrem Herrschaftsgebiet umher). Das förderte die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung Brügges zu einer der reichsten Städte Europas.
Durch Heirat kam Burgund zum Haus Habsburg.

Der spätere römisch-deutsche Kaiser Maximilian I. heiratete 1477  Maria von Burgund und wurde „lure uxoris“ Herzog von Burgund – „aus dem Recht der Ehefrau“. Er war also mehr als nur „Prinzgemahl“,  wie Prinz Philip in England. In einigen Ländern war es sogar so, dass der angeheiratete Monarch bei einer Scheidung Titel und Macht behielt, während die geschiedene Ehefrau (die den Titel in die Ehe gebracht hatte) ihren Status verlor.
Die Gleichberechtigung war noch in weiter Ferne.

Nach der Versandung des Hafens mied der Burgundische Hof die Stadt.

Exkurs: Belgische Geschichte

Die Geschichte von Belgien beginnt 1830.

1815 schuf der  Wiener Kongress das Vereinigte Königreich der Niederlande, bestehend aus den nördlichen Niederlanden (ehemals Republik der sieben vereinigten Provinzen, dann Batavische Republik, dann Königreich Holland) und den südlichen Niederlanden (ehemalige Österreichische Niederlande - heute Belgien). König wurde Wilhelm I. aus dem Haus Oranienburg-Nassau (er war auch: Fürst von Fulda, Fürst von Corvey, Graf von Dortmund, Herzog von Limburg und Großherzog von Luxemburg).

Der protestantische Wilhelm I. wollte den teilweise französisch sprechenden und katholischen Süden im holländischen, sprich protestantischen,  Sinn umgestalten. Dies führte zu Auseinandersetzungen, die 1830 eskalierten.
Innerhalb weniger Wochen führte ein Aufstand zur Aufteilung des Vereinigten Königreichs in zwei Staaten.
Die südlichen Niederlande (Wallonien, Flandern und Lüttich) begründeten den neuen Staat Belgien. Der Name „Belgien“ knüpfte an den Namen der römischen Provinz „Gallia Belgica“ an.

Im Jahr der Unabhängigkeit wurde ein Nationalkongress gewählt, für den aber nur etwa 46.000  steuerzahlende oder akademische, männliche Bürger über 25 Jahre (1 – 2 % der Bevölkerung) wahlberechtigt waren. Der Nationalkongress entschied sich für eine parlamentarische Monarchie.

Zum neuen „König der Belgier“ wurde der deutsche Prinz Leopold von Sachsen-Coburg und Gotha gewählt.
1920 - im 1. Weltkrieg waren Deutschland und Belgien Gegner gewesen - änderte der belgische König Albert I. seinen Namen in „von Belgien / de Belgique / von Belgié“  (3-sprachig).

Französisch wurde als Amtssprache bestimmt, auch für die niederländisch sprachige Bevölkerung. Eine einheitliche Sprache sollte die verschiedenen niederländischen und französischen Dialekte ablösen.
Der Katholizismus wurde Staatsreligion der Monarchie, die überwiegende Mehrheit der Belgier war damals katholisch.

Ein kompliziertes Staatsgebilde ist entstanden

Ende des 19. Jh. begann eine flämische Bewegung gegen die Unterdrückung der niederländischen Sprache. Sie konnte eine Zweisprachigkeit an den Schul-Sekundarstufen erreichen. Dagegen  wiederum gab es Widerstand.
Hinzu kam die Befürchtung der Wallonen, von den bevölkerungsstärkeren Flamen bevormundet zu werden.
Auch soziale Unterschiede spielten eine Rolle. Das agrarische Flandern war weitgehend konservativ-katholisch. Das industriell geprägte Wallonien hatte eher antiklerikale und sozialistische Tendenzen.

Nach dem 2. Weltkrieg verstärkten sich die Gegensätze. Ein Grund war die Veränderung der wirtschaftlichen Strukturen. Das industrielle Wallonien verlor, das ehemals ländliche Flandern gewann durch Dienstleistungen und neue (Petro-)Industrie an der Küste.

Die Folge war, dass die Regionen mehr individuelle Zuständigkeiten einforderten. Es folgen mehrere Staatsreformen, die aus Belgien einen föderalen Staat machen, mit komplizierten Strukturen.

Neben der Zentralregierung gibt es drei Sprachengemeinschaften (flämische, französische, deutsche) und drei Regionen (Flämische Region, Wallonische Region, Region Brüssel).

Regionen und Gemeinschaften haben jeweils ihre eigenen Parlamente und Regierungen mit eigenen Zuständigkeiten (nur für Flandern haben Region und Gemeinschaft eine gemeinsame Regierung).
Die Gemeinschaften haben das Gestaltungsrecht für alle natürliche Personen betreffende Angelegenheiten (Bildung, Kultur, Medien, Soziales).
Die Regionen sind für ortsgebundene Angelegenheiten zuständig (Raumordnung, Wirtschaft, Verkehr).
Föderale Gesetze, regionale und gemeinschaftliche Dekrete haben den gleichen Rang.

Die Politischen Parteien sind jeweils nur für  ihre Sprachgruppe aktiv. Es gibt nur flämische oder wallonische Parteien.
Die Medien sind auf die jeweiligen Sprachgebiete begrenzt. Das gilt auch für den öffentlichen Rundfunk.
Die Ortsnamen an den Autobahnen und die Ansagen auf Bahnhöfen sind jeweils nur einsprachig (Lüttich ist z.B.  je nach Landesteil als „Liége“ oder „Luik“ ausgeschildert. Das muss man wissen, wenn man durch Belgien fährt).
Debatten finden jeweils nur innerhalb der Sprach-Region statt, eine übergreifende landesweite Diskussion fehlt fast vollständig. Das führt auch zu schwierigen und langwierigen Zentralstaat-Regierungsbildungen.

 
Brügge Stadtrundgang:

Stadtrundgang und Grachtenfahrt

Das Taxi brachte uns bis zum Marktplatz (Grote Markt).

Denkmal für Jan Breydel
und Pieter de Conick
Der Grote Markt mit seinen Gildehäusern gilt seit Mitte des 10. Jh. als das Herz von Brügge. Früher trafen sich hier die Tuchhändler. Jetzt ist dort  mittwochs ein  Wochenmarkt (wir waren an einem Montag dort, da gab es „nur“ Touristen).
Im Mittelalter war der Markt noch mit dem Schiff erreichbar.

Auf dem Marktplatz erinnert ein Denkmal an Pieter de Coninck und Jan Breydel. Sie waren Anführer des Aufstands gegen die französische Besatzung.

Die Grafschaft Flandern war bis zum 15. Jh. größtenteils französisches Lehen, u.a. auch Brügge. Ende des 13. /Anfang des 14. Jh. kam es zu Konflikten zwischen Flandern (Adel und Bürger gleichermaßen) gegen die französischen Beamten und die Militärgarnison. Coninck und Breydel waren Anführer eines der Aufstände, die aber niedergeschlagen wurden.

Der Provinciaal Hof mit dem Provinzialratsaal war der Sitz der Provinzialregierung von Westflandern. Ursprünglich stand hier ein Hafengebäude (1294, 1787 abgerissen, da Schiffe nicht mehr fahren konnten).  Danach wurde das jetzige neoklassizistische Gebäude für den Provinzialrat errichtet, der es bis 1999 nutzte. Es dient jetzt nur noch repräsentativen Zwecken.

Provinzialhof am Grote Markt

Die Tuchhallen am Grote Markt waren die damaligen Markthallen in denen die Tuche gestapelt und gehandelt wurden. An die im 13. Jahrhundert errichteten Hallen wurde der 84 Meter hohe Belfort angebaut. Er demonstriert die wirtschaftliche Kraft und Macht der Stadt.

Belfort
Ein Belfort oder Belfried ist ein Glockenturm, der besonders für flämische Städte (und in Nordfrankreich) typisch ist. Es war ein Symbol bürgerlicher Macht (auch gegenüber der Kirche) und beherbergte als sicherer Ort oft das Stadtarchiv, die Schatzkammer oder auch das Gefängnis. Die Stadtglocke oder das Glockenspiel (Carillon) gaben das Signal zum Öffnen und Schließen der Stadttore und sie verkündeten die Uhrzeit (wie die kirchlichen Glocken). Belfrieds dienten auch als Brandwache, kein anderer Bau durfte höher sein.

Der Belfort in Brügge, wie wir ihn sehen, stammt aus dem Ende des 15. Jahrhunderts, die hölzerne Turmspitze wurde 1822 durch eine steinerne Krone ersetzt. Zu Beginn (Anfang 13. Jh.) war der Turm ganz aus Holz.
Der Turm kann über 388 Treppenstufen bestiegen werden, mit dem besten Blick auf Brügge (zugänglich ist nur die Höhe des Glockenspiels, das sind  „nur“ 366 Stufen).

Wir wollten den Belfort ersteigen. Aber um hoch zu gehen, hätten wir weit über eine halbe Stunde stehen müssen. Was schön ist, wollen alle Touristen erleben. Da gilt es abzuwägen. Zu stehen und zu warten oder weiterzugehen und zu sehen. Wir entschieden uns immer für letzteres.

Die Tuchhallen waren wie der Belfort anfänglich aus Holz errichtet. In der heutigen Form stammen sie von 1420.

Innenhof der Tuchhallen

Tuchhallen wurden auch als Gewandaus bezeichnet. Seit dem Mittelalter waren das Messe- oder Lagerhäuser der Tuchmacherzunft. Die Bezeichnung Gewandhaus leitete sich von den Handelswaren der Wandschneide ab, die gewendetes, d.h. gefaltet aufbewahrtes Tuch, einkauften und es in Abschnitten verkauften.

In Leipzig geht der Name des Gewandhaus-Orchesters auf die (zweite) Spielstätte des von Leipziger Kaufleuten gegründeten Orchesters im Messehaus der Tuchwarenhändler (Gewandhaus) 1781 zurück (gegründet 1743 an anderer Stelle).
In Braunschweig diente das am Altstadtmarkt stehende Gewandhaus als Lager-, Verkaufs- und Gildehaus der Gilde der Gewandschneider. In der gotischen Halle und den angrenzenden Gebäuden sind zwei Restaurants und die IHK untergebracht.
Im niederländischen Leiden heißt das Tuchhaus von 1640 Lakenhal. Heute ist in dem Gebäude ein Museum.

Vom Grote Markt haben uns die Banner der Heiligblutprozession in die Steenstraat gelockt. Große Fahnen waren über die ganze Straße gespannt.

Die Prozession ist jedes Jahr am Feiertag Christie-Himmelfahrt (dieses Jahr am
Steenstraat mit Prozessions-Fahnen
30. Mai) und die Prozessions-Straßen waren schon mit großen Transparenten geschmückt.
Seit 1291 wird an jedem Himmelfahrts-Tag die Reliquie mit den Tropfen vom Blut Jesus (so der Glaube) durch die Straßen von Brügge getragen. Die Reliquie hatte der Graf von Flandern aus dem Heiligen Land mitgebracht und der Stadt geschenkt. Aufbewahrt wird sie in der Heilig-Blut-Basilika.
Der Umzug ist wohl auch eine große Touristenattraktion. Bis zu 2.000 Männer, Frauen und Kinder spielen während der Prozession Szenen aus dem Alten und Neuen Testament und aus der Stadtgeschichte. Pfarreien der Stadt, Handwerkergilden und Burschenschaften ziehen in historischer Kleidung durch das mittelalterliche Brügge.

Von der Steenstraat aus ist der hohe Turm der Sint Salvatorskathedraal (St.-Salvator-Kathedrale) zu sehen.

Die Kathedrale war bis zur Neugründung des Bistums Brügge eine Pfarr- und Kollegiatstiftkirche (weltliches Chorherrenstift). Der Kirchenbau begann um 1280. Erst im 17. Jahrhundert wurde das Langhaus fertiggestellt. Der Turm erhielt seine jetzige Form erst, nachdem Sankt Salvator 1834 Bischofskirche und Kathedrale  in der Nachfolge von Sint Donaas wurde.

Katholische Bischofskirche war davor die Sint-Donaaskathedraal (Heiliger Donatian von Reims). Sie entstand im 10. Jahrhundert als Kirche der Brügger Burg. In der Zeit der Französischen Revolution, die auch in die Niederlande hinein wirkte (Gründung der Batavischen Republik 1795, die unter französischem Einfluss stand), wurde die Kirche als Nationalgut verkauft (so wurde konfisziertes Kircheneigentum bezeichnet) und ab 1799 abgerissen. Die Steine wurden (wie auch im revolutionären Frankreich üblich) für  den Bau von Häusern, Brücken und Straßen verwandt.

Von der Steenstraat sind wir in die Straße Oude Burg (Alte Burg) gewechselt, mit dem Ziel Burgplatz. Sehr schön erhaltene historische Giebel-Häuser.

Oude Burg

Die „Oude Burg“ führt an den Lauben der Tuchhallen vorbei. Der Eingang zum Innenhof der Tuchhallen mit dem Belfort ist am Markt. Den Abschluss bilden die Lauben unter der Tuchhalle, die an der „Oude Burg“ liegen.

Der Marktplatz und der Burgplatz liegen dicht nebeneinander.
Von der Burg ist nur noch der Burgplatz übrig geblieben.

Die Burg hatte im 9. Jh. der erste Markgraf von Flandern zum Schutz vor den Normannen (Wikinger) errichtet. Er hatte Flandern (das war damals das Gebiet um Brügge) als Lehen des westfränkischen Königs und Kaisers Karls des Kahlen erhalten (der Gleiche, der den Normannen die Normandie zur Besiedlung gab).
Die Grafen von Flandern verließen im 14. Jh. die Burg am Burgplatz. Ihre neue Residenz wurde der Prinsenhof, heute das Hotel Dukes´Palace (Prinsenhof 8).

Vom Stadthuis (Rathaus) wird die Stadt seit über 600 Jahren verwaltet. Der Bau erfolgte 1376 bis 1420 (Stadtrecht bekam Brügge 1127). In der Zeit war Brügge eine reiche Stadt und  wichtiges Handelszentrum.
Interessant sind der Gotische Saal (ehemaliger Sitzungssaal des Magistrats) mit Wandmalereien, um 1900 entstanden, und der historische Saal.

Stadthuis

Das „Gegenstück“ zum Rathaus ist das Landeshaus der Brugse Vrije (Brügger Freiamt). Von diesem Landeshaus wurde früher das Brugse Vrije regiert. Später (ab 1795) war es das Gerichtsgebäude in dem die Schöffenkammer tagte. Heute ist hier das Stadtarchiv untergebracht.

Brugse Vrije
Brugse Vrije (Freie) war ab dem 10. Jh. eine Region um Brügge und ein Teil der Grafschaft Flandern.
Die Regionen (Kasselrij - Kasselreihen genannt – es gab vier in der Grafschaft Flandern) hatten Verwaltungs-, Militär- und Gerichtsaufgaben. An der Spitze stand ein vom örtlichen Adel gewählter Vizegraf (Viscount, Burggraf) als Vertreter des Grafen. Es war eine geliehene Funktion in Abhängigkeit vom Grafen von Flandern.

Die Stadt Brügge gehörte bis zur Verleihung des Stadtrechts 1127 zur Brugse Vrije.

Die Brugse Vrije bestand bis zur französischen Herrschaft 1795 (Batavische Republik).

Das Verwaltungsgebäude der Brugse Vrije am Burgplatz wurde Mitte des 14. Jh. gebaut, nachdem die Grafen von Flandern  ihre Residenz am Burgplatz verlassen und in den Prinsenhof gezogen waren. Es wurde später mehrfach erweitert.

Neben dem Stadthaus ist die
Heiligblut-Kapelle
Basiliek van het Heilig Bloed
.

Diederik von Esaß, Graf von Flandern (1128 – 1168), ließ 1149  eine Doppelkapelle bauen.
Unten errichtete er die Kapelle  des Heiligen Basilius  (griechischer Kirchenlehrer des 4. Jh.) für Reliquien des Heiligen, die aus Cesarea, heute Türkei, stammen sollen.
Auf die Basilius-Kapelle wurde die Kapelle des Heiligen Blutes gebaut, 1790 zerstört, im 19. Jh. wiederaufgebaut, seit 1923 Basilika minor. Sie verwahrt eine Reliquie mit dem (angeblich) Blut Christi. Dietrich von Elsass soll die Reliquie aus dem Zweiten Kreuzzug nach Jerusalem (1147 bis 1149)  mitgebracht haben.

Gegenüber dem Rathaus ist die Residenz des Provinzgouverneurs von Westflandern.  Bis zur französischen Revolution war das Gebäude die Residenz der Brügger Bischöfe.
Der Gouverneur ist der Vertreter der (flämischen) Regionalregierung mit eigenen Rechten und Zuständigkeiten und er leitet die Provinzverwaltung (entsprechend den Beschlüssen des gewählten Provinzialrates).
Wie es sich für eine (konstitutionelle) Monarchie „gehört“, hat die Residenz auch eine „Königliche Suite“. Winston Churchill und andere Staatsgäste übernachteten hier.


Nach den Besichtigungen am Marktplatz und Burgplatz kam jetzt eine „Ruhepause“ in Form einer Grachtenfahrt.

Rozenhoedkaai mit Belfort

Vom Rozenhoedkaai aus schipperten wir in einem kleinen Boot durch Brügge, über die Grachten Dijver, Groenerei, Sint-Annarei, Spiegelrei.
Am Ende des Spiegelrei ist der Jan van Eyckplein mit dem Denkmal des Brügger Malers Jan van Eyck.
Mit dem Boot waren wir in die Nähe der „deutschen Siedlung“, der Oosterlingenplein gekommen, die etwas nördlich des Spiegelpleins verläuft (s.o. Hanse).
                       
Jan van Eyck (1390 – 1441) war ein flämischer Maler des Spätmittelalters. Er gilt als Begründer der altniederländischen Malerei, eine naturalistische Kunstepoche. Sein bekanntestes Werk ist der Genter Altar.

Grachtenhäuser
Grachten ist der niederländische Begriff für Kanal, Graben, Wassergraben. Die Grachten wurden für den An- und Abtransport von Waren zu den direkt daran errichteten Lager- und Kaufmannshäusern sowie zur Entwässerung und auch zur Verteidigung genutzt.

Ein deutsches Beispiel ist die Stadt Friedrichstadt in Schleswig-Holstein, 1521 von niederländischen Remonstranten (in den Niederlanden verfolgte evangelische Glaubensrichtung), gegründet.
                       
Grachtenhäuser
Einige Grachten heißen „…reie“. Das bezieht sich auf den Fluss Reie, der durch Brügge fließt und Teil des Kanalsystems ist.     

Der Rozenhoedkaai erhielt seinen Namen  von den Rosenkränzen, die dort im 18. Jh. verkauft wurden.
Von hier aus blickt man auf den Brügger Bergfried, Rathaus und Heilig-Blut-Basilika.


Nach dieser schönen Grachtenfahrt ging es zu Fuß weiter. Das Arentshuis war unser nächstes Ziel. Theoretisch hätten wir auch mit einem Boot den Dijver weiter hinunter fahren können. Das Arentshuis, die Liebfrauenkirche und das Gruuthuis liegen alle südlich vom Zentrum in der Nähe des Dijver (der ist Teil des ursprünglichen Flusses Reie).

Das Arentshuis mit dem Artenshof ist ein klassizistischer Herrensitz aus dem 18. Jahrhundert. Das Haus ist über den vorbeifließenden Dijver gebaut.
Heute beherbergt das Haus ein Museum.
Im Garten stehen vier apokalyptische Reiter des flämischen Künstlers Rik Poot als sinnbildliche Darstellung von  Krieg, Tod, Revolution und Hunger.

Brücken-Ansicht
Über die Bonifatiusbrug gehen wir hinüber auf das andere Ufer des Flüsschens. Dort steht der Palast der Herren van Gruuthuse, dicht an die Liebfrauenkirche gebaut.

Die Gruuthuse waren Kaufleute, die das Monopol auf den Verkauf des „Gruuts“ hatten und damit reich wurden.
Gruuts war eine Kräutermischung, die dem Bier Geschmack gab, bevor Hopfen hinzugefügt wurde. Im 14. bis 15.  Jh. war das weit verbreitet.

Der Palast der Gruuthuse stammt aus dem 15. Jahrhundert.

1471 bekam der englische König Eduard IV. in dem Palast Zuflucht, als er im „Rosenkrieg“ (zwischen den englischen Adelshäusern York - weiße Rose im Wappen - und Lancaster - rote Rose im Wappen) aus England fliehen musste.

Ende des 16. Jh. kaufte der spanische König Philipp II. (Die südlichen Niederlande – heutiges Belgien – gehörten zu Spanien) das Haus und vermachte  es dem Gründer des Mont Piété. Ende des 19. Jh. kaufte die Stadt Brügge das Anwesen und errichtete darin ein Museum (u.a. Darstellung der Haus-Einrichtung einer reichen Familie im Spätmittelalter).

Mont Piété – Berg der Frömmigkeit – war eine Wohltätigkeits-organisation, die im 15. Jh. entstand. Sie wandte sich gegen die damaligen Geldverleiher und ihre Wucherzinsen. Ein „Monte“, Berg an Geld, wurde aus Spenden angesammelt und gegen moderate Zinsen verliehen, z.T. als Pfandleihe. Solche Einrichtungen gab es in Italien, England, Brüssel und Malta.

Die Liebfrauenkirche  Onze  Lieve  Vrouw ist ein fünfschiffiger Kirchenbau, 1210 bis 1480 gebaut.  Der 116 Meter  (andere: 122 Meter) hohe Backsteinturm ist weit sichtbar, es ist das höchste Gebäude Brügges.

An klaren Tagen soll man nach Erklimmen der 366 Treppenstufen des  Turms die Nordsee sehen. Aber wahrscheinlich ist es damit wie bei einer Brocken-Tour im Harz (für Fremde: Mittelgebirge in Niedersachsen), bei schönem Wetter sieht man Braunschweig. Aber es ist selten schönes Wetter.
Wir sind die Stufen nicht hinauf gestiegen.

Madonna mit Kind von Michelangelo
Die Kirche beherbergt die Plastik Madonna mit Kind von Michelangelo.

Ursprünglich hatte Michelangelo die Madonna 1501 bis 1506 zusammen mit anderen Skulpturen für Francesco Piccolomini (den späteren Papst Pius III.) angefertigt. Der wollte im Dom von Siena für sich und seine Familie einen Altar errichten. Michelangelo erfüllte seinen Vertrag nur teilweise. Die Madonna verkaufte er an zwei Brügger Kaufleute, die sie für eine Altarstiftung in der Brügger Liebfrauenkirche erwarben. Der Grund Michelangelos ist unklar. Man weiß nicht, ob ihm der Platz im Dom von Siena nicht gefiel oder ob er von den Kaufleuten einen besseren Preis erzielen konnte.

Zwischendurch musste die Madonna mit Kind zweimal „umziehen“. Während der Französischen Revolution kam sie für kurze Zeit nach Paris. 1944 wurde sie von der deutschen Besatzungsmacht beschlagnahmt, man kann auch sagen geraubt. In Österreich wurde sie in einem Bergwerk gesichert, um später in ein geplantes Museum „des Führers“ in Linz gebracht zu werden. 1945 kehrte sie nach Brügge zurück.

Auf dem Weg zum Beginenhof haben wir kurz in die Brauerei De Halve Maan auf ein Bier „Brugse zot – Narr“ hineingeschaut. Ursprünglich hatte ich die Brauerei als „halber Mann“ bezeichnet. Aber  „Zum Halbmond“ ist richtig. Der Familienbetrieb braut hier seit 1856 Bier.

Nach der Brauerei kam der „Schlussspurt“: Beginenhof, Schleusenhof, Minewaterpark. Über die Kateljnestraat und die Olde Burg sind wir zurück zum Grote Markt gegangen.

Der Beginenhof Begijnhuisje umfasst eine Kirche und etwa dreißig Häuser in einer weitläufigen Anlage. Begründet wurde er  1245 von der christlichen Gemeinschaft der Beginen. Beginenhöfe gibt/gab es hauptsächlich im belgischen Flandern und in den Niederlanden.

Begijnhuisje
Frauen (Beginen) schlossen sich im 13. Jahrhundert zu geistlichen Gemeinschaften zusammen, die gemeinsam wohnten, auf persönlichen Besitz verzichteten, ein religiöses und eheloses Leben führten, aber kein Ordensgelübde ablegten und wieder aus der Gemeinschaft ausscheiden konnten (ihr Vermögen blieb dann aber bei der Gemeinschaft). Neben dem Gebet arbeiteten die Frauen für ihren Lebensunterhalt meist in der Krankenpflege und Erziehung.
Die männlichen Gemeinschaften waren die Begarden.

In der Entstehungszeit gab es in vielen europäischen Ländern Gemeinschaften der Beginen, in Köln im 13. Jh. etwa 1.250 Beginen in 25 Gemeinschaften.
Die Bewegung wurde 1311 von einem Konzil verboten, mit Ausnahme von Flandern.

Heute gibt es keine Beginen mehr. Der Beginenhof in Brügge wird seit 1937 als Kloster der Benediktinerinnen geführt. Andere Beginenhöfe werden von Alten, Künstlern oder Studenten bewohnt.

Der Sashuis (Schleusenhof) ist ein Beispiel der Wasserregulierung des Kanalsystems.  „Sas“ ist niederländisch eine Kammerschleuse. Das Sashuis regelt den Wasserstand der innerstädtischen Kanäle am Zufluss des Flusses Reie. Dabei dient das Minnewater (Middenwater – Schüssel) als Stau- und Ausgleichsbecken.

An der Kateljnestraat sind einige Beispiele der Sozialfürsorge des Mittelalters.

An der Katelijnestraat ist das Godshuis Hertsberge aus dem 14. Jahrhundert. Es wurde als Wohnsitz für arme Beginen gestiftet.  „Hertsberge“ ist der Name der Stifter. Es ist eine Gruppe von 7 Häusern, die um einen Hof gruppiert sind. Zur Straßenseite ist der Hof durch ein barockes Tor zugänglich.

Als Godshuis (Gotteshaus) wurden Einrichtungen für Arme, Kranke, Alte und Waisen bezeichnet, die „um Gottes willen“  oder „für einen Gotteslohn“ betreut wurden. Sie wurden meist von wohlhabenden Bürgern oder Handwerksgilden gegründet. Die meisten stammen aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Brügge war eine reiche Stadt, aber viele Menschen lebten in Armut, insbesondere Alte und Witwen. Es waren die Sozialwohnungen der damaligen Zeit.
Heute sind noch 42 Godshuizen mit 260 Wohnungen von älteren Menschen bewohnt.

Neben dem Hertsberge-Haus ist das Godshuis De Generaliteit (Allgemeinheit). Es sind 5 an der Straße gebaute Häuser. Ursprünglich wurden hier Unheilbare und Geisteskranke untergebracht.

Gegenüber dem Godshuis ist das „männliche“ Gegenstück zu dem Beginen-Haus, das ehemalige „Begarden-Kloster“, das schon im 13. Jh. errichtet wurde. Anfang des 16. Jh. richtete die Stadt Brügge dort eine Bildungseinrichtung für arme und elternlose Jungen ein. Sie bekamen eine kostenlose Unterkunft und erhielten eine handwerkliche Berufsausbildung. Jetzt ist in dem Haus eine städtische Kunstakademie.

Im 19. Jh. war die Einrichtung auf Bürgerspenden angewiesen. Als Dank für Spenden wurden die  Schüler nach dem Tod des Spenders zur Begleitung des Trauerzugs ausgeliehen, wobei die Zahl im Verhältnis zu der Großzügigkeit des Spenders oder seiner Familie stand. 
            
Vom Grote Markt sind wir von dem verabredeten Taxi pünktlich abgeholt und zum Schiff zurückgebracht worden. Nicht ohne die Wartezeit nicht nur vor dem „Chocolatier“ zu verbringen. Es soll in Brügge mehr Schokoladengeschäfte als Apotheken geben.


                    Die Informationen stammen meist aus Artikeln im Internet,                         ohne einzelne Zitierung.


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