Zu Fuß durch die Alpen
(2) Durch das Ehrwalder Becken, über den Fernpass und durch das Gurglbach-Tal
Füssen, Reutte und Lermoos liegen hinter uns. Jetzt beginnt die Wanderung durch das Ehrwalder Becken, das zur
Römerzeit ein großes Moor war. Es ist der 3.
Wandertag, der uns durch das Ehrwalder Becken und über den Fernpass bis
nach Nassereith führt. Es folgt ein kurzer 4.
Wandertag durch das Gurglbach-Tal
bis nach Imst, kurz vor dem Inn.
3. Wandertag: Lermoos – Nassereith
Hinter Lermoos beginnt das Ehrwalder Becken, das durch eine eiszeitliche Gletscherausschürfung entstanden ist. Nach dem Bergsturz am Fernpass (s.u.) wurde der Wasserabfluss versperrt und es bildete sich ein großes Moor. Im 19. Jahrhundert und bis 1930 wurde es entwässert, um die Flächen landwirtschaftlich nutzen zu können.
Wir gehen durch das ehemalige Moorgebiet und auch über den Knüppeldamm, den die Römer beim Bau der Via Claudia Augusta in gerader Linie durch das Moor anlegten. Dafür mussten tausende von Baumstämmen als Bohlen schwimmend verlegt werden. Der Knüppeldamm (auch: Prügeldamm) ist teilweise erhalten, aber nicht mehr zu sehen. Nach archäologischen Untersuchungen hat man den Knüppeldamm zugeschüttet, um ihn vor Raub und Beschädigung zu schützen.
Die Besiedlung erfolgte im 14. Jahrhundert durch die Gründung von Schwaighöfen. Das waren
Viehzucht-Bauernhöfe, vor allem der Milcherzeugung und der Käseherstellung. Das Vieh wurde vom Gutsherren oder Landesherren gestellt. Dafür musste eine bestimmte Anzahl Käsellaibe abgeliefert werden. Die Ansiedlungen erfolgten sowohl von der Burg St.
Petersberg am Inn (von Süden aus) als auch von dem Kloster Füssen, (von Norden
aus).
Vom 15. bis Mitte des 19. Jahrhunderts war
der Ort eine Bergbaugemeinde.
Silber, Blei und Zink wurden in den Bergen gewonnen und im Ort verhüttet.
Wir gehen am Loisach-Bach aus Biberwier hinaus. Die Loisach floss vor dem Fernpass-Bergsturz nach Süden (jetzt fließt dort der Gurglbach). Nach dem Bergsturz wurde der Bach nach Norden umgeleitet und fließt jetzt bei Wolfratshausen in die Isar.
Es folgt der Weißensee. Er ist einer der Fernpass-Seen (Mittelsee, Blindsee, Fernpass-See), die durch den Bergsturz in den Senken entstanden sind.
Wir passieren den größeren Blindsee in einigem Abstand und steigen langsam den Berg hinauf. Bis zu unserem höchsten Punkt (1320 Meter Höhe auf meiner Komoot-Karte, im Wanderbuch wird 1.270 Meter angegeben). Das ist die alte Fernpasshöhe der Via Claudia Augusta. Die Fernpassstraße mit dem Straßen-Fernpass liegt weiter unten.
Jetzt geht es zur Fernpassstraße hinunter. Wir queren sie und gehen im Tal des Briglbachs (der bei Schloss Fernstein in den Gurglbach mündet) hinunter zum Fernsteinsee und dem Schloss Fernstein.
Der
Fernpass ist vor über 4000 Jahren
durch einen Bergsturz entstanden,
bei dem Teile eines Bergmassives in die Talebene abgestürzt sind. Auslöser war ein
Erdbeben.
Es war in der Bronzezeit. Die „Himmelsscheibe
von Nebra“ wurde in dieser Zeit von Handwerkern geschmiedet (Fundort Nebra in
Sachsen-Anhalt).
Die ursprünglich nach Süden ablaufende Loisach (fließt heute in die Isar bei Wolfratshausen) wurde nach Norden umgeleitet. Als südlicher Abfluss entstand der Gurglbach.
Die Burg
Fernstein besteht aus mehreren
Bauteilen. Die Burg wird 1288 urkundlich erwähnt und ist heute das Schloss Fernsteinsee (jetzt Hotel).
Älter ist der Wohnturm oberhalb des
Schlosses. Unterhalb der Burg wurde die Fernpassstraße von einer Talsperre (Verteidigungsbauwerk) und Zollstelle unterbrochen (Klausengebäude). Das Burg-Ensemble wird durch eine Kapelle (Baujahr 1478) und das Niederhaus (ein Wirtschaftsgebäude, vor
1462 entstanden) ergänzt.
Unterhalb des Schlosses ist eine Raststätte an der viel befahrenen Fernpassstraße.
Nach der Burg Fernstein ist der Gurglbach unser Wegbegleiter bis nach Nassereith. Am kleinen Nassereither See liegt unsere heutige Unterkunft, das „Landhotel Seeblick“ der Familie Schaber. Es war neben der „Villa Waldkönig“ in St. Valentin die beste Unterkunft auf unserer Wanderung und mit Abstand die mit der persönlichsten Zuwendung.
Der Ortsname (1333 erstmals erwähnt) ist aus dem vulgärlateinischen Flurnamen „in aceretu“ (beim Ahornwald) entstanden (in aceretu – nacerit – Nassereith). Schon früher (um 1100) wird ein Ortsteil Dormitz in Urkunden des Klosters Rottenbuch in Bayern als „locus qui dicitur Dormundes“ erwähnt.
Nassereith profitierte von seiner Lage an der Salzstraße, die sowohl durch das Inntal über Imst als auch über das Mieminger Plateau durch Nassereith führte. Es war die letzte Rodstation vor dem Fernpass mit einem Salzstadl (Lagerplatz, in dem die Salzfässer vor dem Weitertransport am nächsten Tag gelagert wurden).
Nach den Salztransporten spielte im 17. Jahrhundert der Erzbergbau eine wichtige Rolle. In den umliegenden Bergen wurden Bleierz und Zinkblende abgebaut. Bis 1952, da wurde der Bergbau endgültig eingestellt.
4. Wandertag: Nassereith bis Imst
Das Gurgltal ist jetzt unser Weg. Wir haben heute nur eine kurze Strecke und werden früh am Ziel sein. Das ist gut, denn dort, in Imst, gibt es ein Wander-„Highlight“, die Rosengartenschlucht.
Es ist ein breites Tal. Wir gehen am östlichen Rand, ein wenig auf und ab, aber insgesamt absteigend.
In Strad machen wir eine
Pause, obwohl Tarrenz und unser Zielort Imst nicht mehr weit waren. Aber wir
wollten eine Tiroler Vesper-Pause machen. Das hatten wir bisher ein wenig
vermisst, es gab zu wenig Gelegenheiten.
Unser Vesper-Gasthaus Seewald
erinnert an die römischen Straßenstationen der Via Claudia Augusta, die es für
Reisende zur Verpflegung und Übernachtung gab. Im Strader Wald haben
Archäologen einen solchen Gasthof entdeckt.
Der Gasthof liegt am Waldrand von Strad und direkt an der Via Claudia Augusta. Gastwirt ist ein in der Region bekannter Skifahrer. Im Gasthaus sind die Medaillen und Auszeichnungen von Thomas Donnemiller ausgestellt.
Vor Tarrenz erinnert das
Museum „Knappenwelt Gurgltal“ an den
Bergbau im Gurgltal und in den Seitentälern vor 500 Jahren. Wir sind nur daran
vorbeigegangen, wir wollten ja noch in Imst in die Rosengartenschlucht.
Das
Freilichtmuseum Knappenwelt Gurgltal
dokumentiert die Bergbaugeschichte der Region.
In Tarrenz, wie im gesamten Gurgltal, wurde
vom späten Mittelalter (13. Jahrhundert) bis zum 18. Jahrhundert Erz abgebaut.
Vermutet wird, dass schon die Römer im
Gurgltal Bleierz gefunden haben. Sie benötigten Blei für Wasserleitungen und
Kriegsgeräte.
Im 15. Jahrhundert wurde das im Gurgltal gewonnene Bleierz nach Schwaz transportiert. Das dort geförderte Silbererz (Fahlerz mit hohem, aber nicht reinem Silbergehalt) musste zusammen mit Bleierz geschmolzen werden, um reines Silber zu gewinnen (sogen. Abtreiben oder Cupellation, im Schmelzvorgang oxydiert Blei zu Bleioxyd und trennt die im unreinen Silbererz vorhandenen Oxyde von dem Silber). Später wurden im Gurgltal Zinkerze für die Herstellung von Messing gewonnen.
Schwaz liegt im Unterinntal östlich von Innsbruck.
Es war aufgrund seines Silber- und Kupferbergbaus um 1500 nach Wien die
zweitgrößte Stadt in Österreich. Durch Schwaz sind wir (Eckhard und ich)
während unserer Radtour über den Brenner gefahren.
Vor Tarrenz wechseln wir auf
die andere Talseite des Gurlbach-Tals. Im Ort gibt es noch einen kräftigen
Anstieg. Wir wollen hinauf auf das Schloss
Starkenberg. Das Schloss-Gebäude ist enttäuschend. Als Schloss ist es nicht
zu erkennen. Es ist ein Brauerei-Gebäude. Aber das Bier der Starkenberger
Brauerei ist gut.
In Tarrenz war die Stammburg des Rittergeschlechts der Starkenberger. Sie waren große
Grundbesitzer im Tiroler Oberland, im Etschtal, im Meraner- und Bozener Raum
(bis Mitte des 15. Jahrhunderts).
Im 12. Jahrhundert wurde die Burg (Alt-) Starkenberg gebaut. 1422
wurde sie bei einer Fehde zerstört. Ein Jahrhundert vorher wurde die erhalten
gebliebene Burg Neustarkenberg errichtet,
die nach dem Niedergang der Starkenberger eine Landesburg wurde. 1780 wurde die
Burg von einer Kaufmannsfamilie erworben und zu einem Schloss mit Brauerei erweitert.
Mit der Burg Starkenberg ist die Entwicklung der Gemeinde Tarrenz eng verbunden. Wahrscheinlich bestand eine Siedlung schon in römischer Zeit. Der Ortsname geht auf das Lateinische Torrens (Sturzbach – der Starkenberger Bach?) zurück. Im zu Tarrenz gehörenden Strad wurden bei Grabungen Spuren einer römischen Siedlung gefunden.
Vor Tarrenz:
Durch den Bergbau gelangte der Ort zu Wohlstand. Allerdings nur für kurze Zeit, ab dem 16. Jahrhundert wurde das Gurgltal-Bleierz für die Schwazer Silberproduktion nicht mehr gebraucht.
Bier
wird auf Starkenberg seit 1810
gebraut. Die Genehmigung erhielt die Inhaberin der Strel’schen Handelskompanie,
die die Burg Neustarkenberg 1780 gekauft hatte, von der französischen
Besatzung in Tirol.
Der von Andreas Hofer geleitete
Freiheitsaufstand gegen die bayrische und französische Besetzung Tirols war
1809 gescheitert und napoleonische Truppen besetzten das Land erneut, bis es
1814 wieder Teil des Habsburger Reiches wurde.
Mit 42.000 Hektolitern Jahresausstoß ist die
Brauerei nur von lokaler Bedeutung. (Die Brauerei Forst in Algund, deren Bier
wir in Meran trinken, hat einen Ausstoß von 700.000 Hektolitern. Erdinger braut
1,5 Millionen Hektoliter Weißbier.)
Wir bleiben am oberen Rand des Gurglbach-Tals und erreichen unser Tagesziel Imst.
In römischer Zeit war in Imst die Straßenstation „Humiste“. Als „Oppidum
Humiste“ („hervorsprudelnde Quelle“) wird der Ort 763 genannt. Daraus
wurde mit der Zeit der Name Imst.
1266 erwarb
der Herzog von Tirol und Graf von Kärnten das Gebiet aus Bayrischem Besitz.
Er erhob Imst zum Markt. Fahrende Händler mussten ihre Ware in Imst lagern.
In der Zeit
des Bergbaus im Gurgltal gelangte Imst zu Wohlstand. Bis zu 1.000 Knappen
aus Sachsen und Thüringen arbeiteten in den Gruben. In der Zeit entstand auch
die Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt
(1462 wurde der Bau begonnen, 1493 die Kirche geweiht).
Im 16. Jahrhundert begannen Knappen mit der Zucht von Kanarienvögeln als
Nebenverdienst. Spanier hatten nach der Eroberung der Kanarischen Inseln die
„Kanari“ nach Europa gebracht. Die Vögel lernten die vorgepfiffenen Melodien.
Später wurden kleine Orgeln dafür eingesetzt. Handelsreisende brachten die
Vögel in Rückentragen (Kraxen) von Imst in die Nachbarländer. Es soll ein
einträgliches Geschäft gewesen sein.
Mit dem Ende des Bergbaus im 18. Jahrhundert
verließen nicht nur die Knappen Imst, sondern auch die Kanarienvögel. Knappen
und die Kanarienvögel wanderten in das
Harzer Bergbaurevier. Als „Harzer Edelroller“ wurden die Kanarienvögel aus
St. Andreasberg berühmt.
In Imst hat Hermann Gmeiner aus Vorarlberg sein erstes SOS Kinderdorf errichtet. 1949 hatte er den Verein Societas Socialis in Innsbruck gegründet, woraus dann der Verein SOS Kinderdorf wurde. 195o wurde
das erste Kinderdorf-Haus mit 5 Waisenkindern in Imst bezogen. Die Gemeinde war
seinem Aufruf gefolgt und hatte dem Verein ein Grundstück kostenlos überlassen.
Inzwischen sind 540 Kinderdörfer weltweit
entstanden. In Deutschland sind es 18 Dörfer mit 479 Mädchen und Jungen.
Darüber hinaus gibt es Kindergärten, Schulen und Berufsbildungszentren,
Jugendbetreuung und medizinische Zentren in 137 Ländern. Der Sitz der
SOS-Kinderdörfer ist seit 1963 in München.
Wir waren früh in Imst, die Wanderstrecke war ja auch nicht so lang. Wir hatten also Zeit, Zeit für eine weitere Wanderung durch die Rosengartenschlucht.
In Imst hat sich der Schinderbach vor Millionenjahren eine tiefe
Schlucht durch den Kalksteinberg gefräst. Auf eineinhalb Kilometer Länge überwindet
er einen Höhenunterschied von 250 Metern.
Im 15. Jahrhundert wurde in der Schlucht nach silberhaltigem Bleierz
gegraben. Vermutet wird, dass hier schon die Römer nach Erz gesucht haben. Das
Ende der Schlucht ist an der Johanniskirche.
Die Rosengartenschlucht soll ihren Namen erhalten haben, weil hier
einige Wildrosen wachsen sollen (ich habe keine gesehen). Eine andere
Namens-Erklärung ist, dass es am Eingang zur Schlucht einmal einen Rosengarten
gab.