Stadtwanderung Thielpark und mehr
Nicht weit von
uns reihen sich vier kleine Seen in einem Grünzug hintereinander. Das
war heute unser Ziel.
Von der Drakestraße
kommen wir auf die Habelschwerdter Allee. An beiden Straßen sind zwei
italienische Restaurants, die sich von den üblichen „Italienern“ absetzten
und die wir gern besuchen (wenn wir nicht selber kochen wollen, meistens wollen
wir). An der Drakestraße ist es die Enoteca Vecchio Molino und an der
Habelschwerdter Allee ist es La Favorita. Beide mit exzellenter Küche und
hervorragenden Weinen.
Ein Park in einer eiszeitlichen Rinne
Kurz hinter
dem La Favorita beginnt auf der linken Straßenseite der Triest-Park in
einer eiszeitlichen Rinne, die bis zur Clayalle reicht.
Es gibt mehrere eiszeitliche
Rinnen. Berlin
liegt im sogen. Berliner Urstromtal. Das ist ein Teil des
Warschau-Berliner Urstromtals, das in das Elbe-Urstromtal mündet. Entstanden
sind die Urstromtäler nach der Weichsel-Kaltzeit vor gut 20.000 Jahren
durch das Abfließen der Schmelzwasser von Gletschern, die sich von
Großbritannien bis zum nördlichen Ural erstreckten. Im Berliner Urstromtal
fließt die Spree, die auf die Havelniederung trifft, einer
weiteren größeren glazialen Rinne. Daneben gibt es im Berliner Raum kleinere Rinnen,
wie die Grunewald-Seenkette mit dem Schlachtensee, eine schmalere Rinne
mit dem Waldsee und dem Buschgraben in Zehlendorf, und die Rinne, in der
sich der Triestpark und der Thielpark befinden.
Das Domänenland wird ein Villenviertel
Diese
eiszeitliche Rinne wurde nach der Auflösung der Königlichen Domäne
Dahlem zu einer Parklandschaft umgestaltet. Um 1900 entstanden Pläne, neue Wohnbaugebiete
für die Wachsende Großstadt Berlin zu schaffen. Zu den ins Auge gefassten
Gebieten gehörte auch die Domäne Dahlem. 1901, nach Ablauf des letzten
Pachtvertrages, trat das Gesetz zur Aufteilung des Domänengeländes in
Kraft. Es wurde eine Aufteilungskommission gebildet, deren Vorsitzender Hugo
Thiel, Ministerialdirektor im preußischen Landwirtschaftsministerium, wurde.
Die Kommission entschied, die Entwicklungsflächen selber zu vermarkten, um den
höheren Gewinn für den Staat zu erzielen und nicht privaten Entwicklern zu
überlassen. Zwischen 1901 und 1915 entstanden über 500 Grundstücke. Die Käufer
waren verpflichtet, innerhalb von zwei Jahren ein villenartiges Gebäude zu
errichten. Das Villenviertel Dahlem entstand. Daneben wurden große Flächen auf
Intervention Kaiser Wilhelm II. für Staatsbauten reserviert, wohl auf Anraten
von Friedrich Althoff (s.u.).
Ab 1902
wurden die bekannten Straßen angelegt: Rheinbabenallee, Podbielskiallee,
Altensteinstraße, Habelschwerdter Allee usw. Dass einige Straßen heute einen breiten,
begrünten Mittelstreifen haben (so z.B. die Pacelliallee und die
Habelschwerdter Allee), ist Kaiser Wilhelm II. zu verdanken. Er wollte einen Anmarschweg
für das Garde-Schützen-Bataillon zu den Schießplätzen im Grunewald haben.
Das Bataillon war seit 1884 in der Gardeschützenkaserne in der von Carstenn
entwickelten Villenkolonie Groß-Lichterfelde kaserniert (in deren Nähe wir wohnen).
Der Thielpark
Der Taleinschnitt mit seinen Hügeln und Senken ließ sich anders als die Acker- und Weideflächen der Domäne nur schwer vermarkten. Bei der Ausweisung der Villengrundstücke wurde darum die Talfläche als Park ausgewiesen. Die Teiche der Parkanlage wurden künstlich angelegt: Triestparkteich (2), Studententeich (5), Schwarzer Grundteich (7), Thielparkteich (9), Schilfteich (11).
Benannt
wurde der Park nach Hugo Thiel (1839 – 1918). Thiel war Professor für
Agrarwissenschaften, bevor er Geheimer Regierungsrat und später
Ministerialdirektor im Preußischen Landwirtschaftsministerium wurde. Er war Mitglied
des Reichstags (1874 – 1877) und Mitglied des Preußischen
Abgeordnetenhauses (1873 – 1878). Ab 1901 war er Vorsitzender der
Aufteilungskommission für die Domäne Dahlem.
Der Reichstag des
Deutschen Reiches
bestand von 1871 (Gründung des Kaiserreichs in Versailles) bis zur
Novemberrevolution 1918 (Ausrufung der Republik). Die Abgeordneten des
Reichstags wurden in gleicher und geheimer Wahl gewählt, allerdings nur von den
Männern ab 25 Jahren (das Frauenwahlrecht wurde erst nach der
Novemberrevolution für die Wahlen zum Reichstag der Weimarer Republik
eingeführt).
Das Preußische Abgeordnetenhaus war von 1849 bis 1918 die Zweite Kammer des Preußischen Landtags, neben dem Herrenhaus. Gewählt wurde noch bis 1918 nach dem Dreiklassen-Wahlrecht in Abhängigkeit von der Steuerleistung. Es war eine indirekte Wahl. In der Urwahl wählten die Bürger Wahlmänner, die ihrerseits die Abgeordneten wählten. Das Wahlrecht bevorzugte die Bürger mit hohem Einkommen, die einen unverhältnismäßig höheren Anteil an Abgeordneten hatten. So konnten 1913 rd. 190.000 Urwähler in der 1. Klasse ein Drittel der Abgeordneten bestimmen, rd. 1.990.000 Urwähler in der 3. Klasse bekamen auch nur ein Drittel der Abgeordneten.
Der durchgängige Grünstreifen zwischen Habelschwerdter Allee und der
Clayallee wurde durch Erschließungsstraßen unterbrochen und die Teilstücke
erhielten eigene Parknamen. Wir gehen zunächst durch den Triestpark (2), der
ausweislich einer Informationstafel 1963 so nach der italienischen Stadt Triest
benannt wurde. Nach der Thielallee kommt der Zehner Park (3) und dann der Pompinius
Park (5) (Namensgeber der beiden Parks?). Die Trogstrecke der U-Bahn
durchschneidet den Park.
Bis hierhin sind wir bei unserem ersten Spaziergang nach Rückkehr aus unserem Winterquartier Teneriffa gekommen, siehe: Berliner Stadtspaziergang – Link zum Bericht).
Den Übergang zum nächsten Parkteil bildet die nach der Freien Universität benannte U-Bahnstation (6). An dem Stationsgebäude ist aber der alte Name „Thiel Platz“ geblieben. Die Bahnstrecke wurde 1913 eröffnet und führte zunächst nur bis zum Thiel Platz als Endhaltestelle. Sie sollte die in Dahlem gelegenen Kaiser-Wilhelm-Institute mit dem Stadtzentrum verbinden. Der Parkabschnitt danach hat den ursprünglichen Namen Thielpark behalten, verläuft ein Stück nach Norden und knickt dann nach Westen zur Clayallee ab (7).
Wissenschaftscampus und Freien Universität
Wir gehen am Ende des Thielparks auf der gegenüberliegenden
Wegstrecke bis zur Thielallee zurück und dann zur Habelschwerdter Allee.
Hier entstand nach 1945 auf einem bis dahin noch nicht bebauten Versuchsgelände
für Obstbau der Universitätscampus der Freien Universität Berlin.
Ein markantes Gebäude ist die ab 1967 errichtete „Rostlaube“ (15). Als
Fassadenmaterial wählte man eine neu entwickelte Stahllegierung, die nach kurzer
Korrosionszeit eine stabile Rostpatina als wartungsfreie Schutzschicht bilden
sollte. Das funktionierte allerdings nicht richtig, so dass um das Jahr 2000
die Stahlplatten der Fassade gegen Kupferblech ausgetauscht wurden, die
Rostlaube also eine Kupferlaube wurde. Andere markante Gebäude sind die Silberlaube
(mit einer Fassade aus Aluminiumblech) und die Holzlaube (mit einer Fassade aus
Zedernholz).
Dass die FU Freie Universität
1948 als Alternative zu der unter sowjetischer
Kontrolle stehenden Berliner Universität in Berlin-Mitte in Dahlem errichtet
wurde, ist nicht zufällig. Bereits mit der Entwicklung der Domäne Dahlem zu
einer Villenkolonie wurden Freiflächen eingeplant. Bereits nach 1900 war damit
begonnen worden, wissenschaftliche Institute oder Ämter des preußischen
Staates, neue Museen und Teile der UniversitätmBerlin nach Dahlem zu verlagern
oder neu zu errichten. Die FU konnte mehrere in Dahlem gelegene Gebäude Berliner
Universität übernehmen. Außerdem
stellt die Max-Planck-Gesellschaft die Institutsgebäude der ehemaligen
Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in Dahlem zur Verfügung. Zur Unterbringung von
Instituten werden zusätzlich Villen gemietet und gekauft, die auch heute noch
genutzt werden.
Zu den nach 1900 gegründeten Einrichtungen gehören der Botanische Garten mit dem Botanischen Museum (1903 eröffnet, Unter den Eichen – Königin-Luise-Straße), die Bakteriologische Abteilung des Kaiserlichen Gesundheitsamtes (1903, heute Umweltbundesamt, Thielallee), die Königliche Landesanstalt für Wasserhygiene (1913 eröffnet, Corrensplatz in Dahlem, heute eine Abteilung des Bundesumweltamtes), die Königliche Gartenlehranstalt (1903, heute das Gartencenter „Königliche Gartenakademie“ an der Altensteinstraße und das Institut für Lebensmitteltechnologie der TU an der Königin-Luise-Straße), die Königliche Landwirtschaftliche Hochschule (ab 1921 am Albrecht-Thaer-Weg errichtet, heute das Albrecht Daniel Thaer-Institut für Agrar- und Gartenbauwissenschaften der HU) und das Preußische Geheime Staatsarchiv (1924 eröffnet, heute Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz an der Archivstraße).#
Die Idee zur Schaffung eines
Wissenschaftsstandortes Dahlem stammt von Friedrich Althoff (1839 – 1908). Er
diente fünf Ministern der Preußischen Regierung und prägte in der Zeit die
Kulturpolitik Preußens. Er war maßgeblich an der Gründung der
Reichs-Universität Straßburg beteiligt, später am Aufbau der Universität
Münster, der Königlichen Akademie Posen, der Technischen Hochschulen in Danzig
und Breslau. Die Universität Berlin wurde von 38 auf 81 Institute ausgebaut.
Die Universität Göttingen konnte führendes Zentrum für Mathematik und Physik
werden. Für den Neu- und Umbau der Charité besorgte Althoff sich die
Finanzmittel, die ihm der Finanzminister verweigerte, durch Verlagerung des
Botanischen Gartens nach Dahlem und Veräußerung der innerstädtischen
Grundstücke.
1911 wurde die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften gegründet. Nachfolgerin ist die 1948 gegründete Max-Planck-Gesellschaft. Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft eröffnete 1929 das Harnack-Haus als Gästehaus an der Ihnestraße (heute eine Tagungsstätte der Max-Planck-Gesellschaft). Adolf von Harnack gab den Anstoß zur Gründung der Gesellschaft und war deren erster Präsident. Auf die Gesellschaft geht die Gründung mehrerer Institute in Dahlem zurück: Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie (1912 wurde das Institutsgebäude errichtet, heute ist dort der Hahn-Meitner-Bau an der Thielallee). Kaiser-Wilhelm-Institut für Physikalische Chemie und Elektrochemie (1912 wurde das Institutsgebäude eröffnet, heute das Frith-Haber-Institut am Faradayweg).
Wir kommen in der Habelschwerdter Allee noch an einem Neubau des Instituts für Philosophie (16) vorbei. Die auffallende und interessante Architektur stammt von dem Architektenpaar Inken und Hinrich Baller. Baller hat mehrere Gebäude in Berlin mit einen unverkennbaren Baller-Architekturstil entworfen, Stahl, Beton und Glas in meist geschwungenen Linien. Auch für die GSW, deren Geschäftsführer ich in meiner Berliner Zeit war, hat Baller Wohngebäude entworfen, schön anzusehen, aber oft mit hohen Instandhaltungs- und Reparaturkosten verbunden.