Berliner Wanderungen
Zum Heinrich-Laehr-Park 

Juni 2023

Der Heinrich-Laehr-Park ist ein langgestreckter Park zwischen dem Teltowkanal und dem S-Bahn-Gleis. Wir kannten ihn bisher nicht. Am Teltowkanal sind wir schon öfter gewesen, zu Fuß und mit dem Fahrrad. Dass wir den Heinrich-Laehr-Park „entdeckt“ haben, war eher zufällig. Wir wollten am Kanal entlang gehen, aber nicht zu weit. So bot sich der Park als „grüner“ Weg zwischen dem Kanal und der S-Bahn-Station Zehlendorf an. Zehn Kilometer, das reichte, von Zehlendorf sind wir mit der S-Bahn zurück bis Lichterfelde-West gefahren. 

Die Route - 10 Kilometer
Die Ziffern am Weg entsprechen den Text-Markierungen

Wir gehen von uns aus die Drakestraße hinunter (d.h. Richtung Süden) zum Teltow-Kanal und weiter auf der  Nordseite des Kanals Richtung Zehlendorf (d.h. nach Westen). Der Weg am Kanal führt uns zum Heinrich-Laehr-Park.
 

Die Drakestraße, an der wir wohnen, habe ich gelegentlich beschrieben (siehe „Die Drakestraße – Namensgeber ist der Schöpfer der „Goldelse““),

auch den Teltow-Kanal (siehe „Berliner Spaziergänge – Stölpchensee und Griebnitzsee“). 

Gegenüber der Brücke über den Kanal werden in dem (1) ehemaligen Postgebäude Eigentumswohnungen ausgebaut. Hinzu kommen Neubauten, damit das Grundstück am Kanal optimal genutzt wird. 1929 wurde das denkmalgeschützte Gebäude für die Post fertiggestellt. 500 Pfähle mussten damals in den Boden gerammt werden, weil der Boden des ehemaligen Bäketals nicht fest genug war. Seit einigen Jahren wurden in dem Postamt schon keine Briefe und Pakete mehr bearbeitet. 

Das Postgebäude mit dem Neubau-Anbau.
Der Post-Adler bewacht weiter den Altbauteil.

Am Kanal

Dichte Büsche und Bäume am Kanalufer versperren den Blick auf das gegenüberliegende (2) Kraftwerk mit seinen markanten Schornsteintürmen. Die werden allerdings nicht mehr gebraucht. 2019 wurde das zu Vattenfall (früher BEWAG) gehörende Heizkraftwerk von Schweröl auf Erdgas umgerüstet. 100.000 Haushalte werden von hier mit Fernwärme versorgt. Vielleicht werden wir an der Drakestraße in den nächsten Jahren auch an die Fernwärme angeschlossen. Fernwärme-Ausbau ist ja gerade das große Thema. 

Die Türme des Heizkraftwerks Lichterfelde

Jasmin am Wegesrand

An der Brücke über die Wismarer Straße erinnert die (3) Säule der Gefangenen“ an die Häftlinge des KZ-Außenlagers Lichterfelde. 1942 wurde es für bis zu 1.500 Männer eingerichtet, die auf Berliner Baustellen der SS arbeiten mussten. Für den Aufbau des Lagers wurden Häftlinge aus dem KZ-Hauptlager Oranienburg jeden Tag nach Berlin gebracht. 1945 wurde das Lager aufgelöst und die Gefangenen kamen in das KZ-Sachsenhausen in Oranienburg. 

KZ-Gedenken

Der breite Weg für Fahrradfahrer und Fußgänger wird schmaler und rückt nah an den Kanal hinan. Kleingärten sind zunächst auf der anderen Seite des Weges, die dann von wenig intensiv genutzten Gewerbeflächen (Holzhandel, Gartenbaufirmen, Lagerplätzen) abgelöst werden. Hinter den Kleingärten und den Gewerbebetrieben verläuft in einiger Entfernung die Görzalle parallel zur Kanalstrecke. Wir sind auf dem Berliner Mauerradweg.

Der Weg ist jetzt schmaler und näher am Kanal

Klatschmohn und Brombeerranken am Weg

Es folgt der (4) Zehlendorfer Stichkanal mit einem aufwändigen Brückenbauwerk fast nur für Fußgänger. Radfahrer werden die Brücke wohl weniger nutzen. Nicht wegen der Brücke, sondern wegen des Sandweges davor und dahinter. Ein Fahrradfahrer, der uns entgegenkam rief uns „Sch..-Weg“ zu. Das allerdings wussten wir selber. Der feine märkische Sand rieselte in unsere Sandalen. 

Die Fußgängerbrücke

Teichrosen-Idylle

Der Stichkanal wurde zeitgleich mit dem Teltowkanal gebaut (1900 bis 1906). Vor dem Kanalbau war hier der Teltower See, durch den die Bäke floss. Ein Bahngleis wurde vom Gewerbegebiet am Kanal zum Stadtbahnhof Lichterfelde-West gebaut (Zehlendorfer Eisenbahn- und Hafen AG, gegründet von dem Bankier Neuburger, der aus Marklissa in Schlesien stammte). 


Bei meiner Schlesien-Radfahrt bin ich durch Marklissa gekommen, siehe „Zu Gerhart Hauptmann und den Schlössern im Hirschberger Tal". 

Später wurde die „Goerzbahn“ genannte Strecke auch für den Personenverkehr genutzt. Zurzeit wird über eine Reaktivierung der stillgelegten Gleise diskutiert. 

Entscheidend für die Entwicklung des Gebietes war die Ansiedlung der „Optischen Anstalt C.P. Goerz“ 1918 durch den Optiker Goerz. Die Goerzallee erinnert an ihn.  Neben dem Goerzwerk entstand eine Wohnsiedlung für die Angestellten des Werkes. 1926 übernahm Zeiss-Ikon die Goerz AG.  Nach 1945 verlor der Hafen durch die Teilung der Stadt seine Bedeutung. Die ehemalige Grenze zu Ost-Berlin verlief in der Mitte des Teltowkanals. Jetzt ist die Zufahrt zum Stichkanal für Schiffe gesperrt. Der Kanalabschnitt und der Uferbereich sind ein naturnaher Landschaftsraum. 

Sandweg am Kanal

Am Teltower Damm verlassen wir den Kanal (5) und gehen an der Straße entlang nach Norden. Auf der Straßenbrücke über den Kanal wechselt der Mauer-Radweg vom südlichen (das unserem Wanderweg gegenüberliegende) auf das nördliche Ufer. Den Fußweg am Teltower Damm müssen wir nur ein kurzes Stück gehen, dann können wir unseren Weg durch grüne Landschaft fortsetzen. Es ist zunächst eine (6) Kleingartenanlage, jede Parzelle mit einem Gartenhäuschen versehen, an dem heutigen Sommertag gut von den Familien der Gartenpächter belebt. 

Hinter der Gartenanlage beginnt der (7) Heinrich-Laehr-Park, 1000 Meter lang und 240 Meter breit, 24 Hektar groß. Es ist einer von insgesamt drei Parkanlagen zwischen dem Teltower Damm und dem Dahlemer Weg bzw. dem Teltowkanal und der S-Bahn-Trasse. Es ist das Gebiet der ehemaligen Gemeinde Schönow, das aus dem Rittergut Schönow hervorging. 1920 kam Schönow mit Zehlendorf zu Groß Berlin. 

Ein Vogelhaus im Park
Der Heinrich-Laehr-Park, der (8) Schönower Park, durch den wir anschließend gehen, und der etwas daneben liegende Schweizerhofpark sind die verbliebenen Grünflächen der von Heinrich Laehr gegründeten Nervenheilanstalt „Schweizer Hof“. 

Heinrich Laehr (1820 – 1905, aus Sagan in Schlesien) war Arzt und Psychiater. 1853 kaufte er in Zehlendorf den Bauernhof „Schweizerhof“ mit 270 Hektar Land. Er gründete eine private Nervenheilanstalt und ließ weitläufige Parks und Ackerflächen anlegen. Gebäude im Pavillonstil entstanden. Die Patienten (ab 1856 nur noch Frauen) wurden nicht weggesperrt. Sie arbeiteten auf den angelegten Feldern. Für Freizeiten gab es Tennisplätze und eine Kegelbahn. 

Der Sohn von Heinrich Laehr führte die Nervenheilanstalt bis zu seinem Tod weiter und vermachte die Immobilie dem Land Berlin. Die Gebäude westlich des Laehr-Parks sind erhalten geblieben und beherbergen Einrichtungen der Altenpflege, u.a. das Pflegewohnheim Schönow. Auf anderen (abgeräumten) Flächen entstand 1945 die Kirchliche Hochschule Berlin (mit Promotions- und Habilitationsrecht). 1992 wurde sie mit der theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zusammengefasst. Heute werden die Gebäude von der Evangelischen Fachhochschule genutzt. 1965 wurden anstelle der abgerissenen Anstalts-Gebäude (südlich des Schönower Parks) Neubauten für die John F. Kennedy Schule gebaut. Nur ein Gebäude der Heilanstalt blieb erhalten, einer der Pavillonbauten, 1854 von Martin Gropius im spätklassizistischen Stil entworfen. 

Wir kommen, nachdem wir den Heinrich-Laehr-Park verlassen haben, an der Grundschule Schweizer Hof und an dem großen Schulgelände der Kennedy-Schule vorbei, in den Schönower Park. An seiner südwestlichen Ecke grenzt er an den Schweizerhofpark an. Mitten im Schönower Park befindet sich der (9) Privatfriedhof der Familie Laehr. 1902 wurde Laehrs Frau dort beigesetzt. 1906, nach dem Tod von Heinrich Laehr, wurde ein monumentales Grabdenkmal für das Ehepaar errichtet. 

Das Grabmonument mit der Darstellung der
Schwermütigen

Zwischen Schönower Park und dem Schweizerpark verläuft der Teltower Damm, der für den letzten Teil des Spaziergangs/der Wanderung unser Weg bis zum S-Bahnhof Zehlendorf ist. Wir überlegen, ob wir am Teltower Damm in einem koreanischen Teehaus, in einem vietnamesischen oder in einem italienischen Restaurant einkehren wollen, entscheiden uns dann aber, lieber gleich das kurze S-Bahn-Stück zu fahren und zu Haus auf der Terrasse den selbstgebackenen Kuchen zu essen. Allerdings erst, nachdem wir von unseren Füßen den märkischen Sand abgewaschen haben.

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Der 1000jährige Rosenstock
Hildesheimer Neustadt und St. Godehard

Ein Besuch in Hildesheim anlässlich des Klassentreffens am 3. Juni 2023.

Zum 55jährigen Abitur* haben wir, die Klasse WO 13 der Wirtschaftsoberschule Hildesheim, uns wieder in Hildesheim getroffen. Beginn im Knochenhauer Amtshaus und Ausklang in Schlegels Weinstube. Dazwischen ein Bummel durch die Neustadt mit einer sehr guten Führung der Hildesheimer Tourist-Information.

*) Anlässlich des 50jährigen Treffens habe ich den Beitrag „Schön, dass wir das noch erleben dürfen“ geschrieben.

Link zum Bericht

 

Das Knochenhauer Amtshaus war das Gildehaus der Fleischer (Knochenhauer), 1529 gebaut. 1945 wurde es bei dem Luftangriff auf Hildesheim wie nahezu die gesamte Innenstadt zerstört.

 

An der Stelle wurde 1962 das siebengeschossige Hotel Rose als moderner Neubau errichtet. Im Hotel Rose haben wir 1968 unseren Abiturball gefeiert. In den 1980er Jahren ging das Hotel in Konkurs und wurde später abgerissen.

 

1986 bis 1989 wurde das Knochenhaueramtshaus in Fachwerkbauweise nur mit Holznägeln und Holzverbindungen neu errichtet, zusammen mit dem (links) danebenstehenden Bäckeramtshaus (der ursprüngliche Bau von vor 1579).

 

Gleichzeitig mit dem Knochenhaueramtshaus wurde auch auf der Südseite des Marktplatzes die Fassade des ehemaligen Wedekindhauses (ein Wohn- und Geschäftshaus) durch die Hildesheimer Sparkasse rekonstruiert. Im Gegensatz zum Knochenhaueramtshaus, das Original aufgebaut wurde, ist beim Wedekindhaus nur die originalgetreue Fassade vor einen Neubau gesetzt worden.

 

Der Stadtrundgang
Die Ziffern auf der Karte entsprechen den Text-Markierungen

Die Stadtführung durch die Hildesheimer Neustadt begann am Katzenbrunnen am Neustädter Markt, gleich neben der Lambertikirche.

Der Katzenbrunnen
Die Hildesheimer Neustadt war bis zu ihrer Vereinigung mit der Altstadt Anfang des 19. Jahrhunderts eine selbständige Stadt. Sie wurde um 1200 von dem Propst des Hildesheimer Doms südöstlich der Altstadt an der Handelsstraße nach Goslar gegründet. Zur Dompropstei gehörten damals die Dörfer Itzum, Hasede und Losebeck (später kamen Borsum, Algermissen und weitere Dörfer hinzu, der sogen. „Borsumer Kaspel“). Auf Losebecker Gebiet wurde die Neustadt genannte Siedlung planmäßig angelegt.

Die Neustadt sollte ein Gegenpol zu der aufstrebenden Altstadt bilden, die sich dem Einfluss des Bischofs (als Stadtherr) immer mehr entzog. Sie erhielt eine eigene Befestigung mit Wällen, Gräben und Toren. Eines der Tore war Kehrwiederturm, der zunächst Hohnser Tor nach dem in der Nähe gelegenen Dorf Hohnsen hieß.

Die Gründung der Neustadt durch den Probst zeigt auch die starke Stellung des  Domkapitels gegenüber dem Bischof. So hatte der 1216 zum Bischof gewählte Sigfried von Lichtenberg eine Wahlkapitulation unterschreiben müssen, in der die Rechte des Domkapitels gestärkt wurden. Damit wurde die schon bestehende Entwicklung der Entmachtung des Bischofs weiter vorangetrieben.

Stadtherr der Neustadt war bis zur Vereinigung mit der Altstadt der Dompropst. Die Dompropstei wurde ein selbständiges Hoheitsgebiet innerhalb des Fürstbistums Hildesheim. Schon 1182 hatte der Bischof die Grundherrschaft für Losebeck (und Hasede und Itum) dem Domprobst übertragen und damit eine dompröbstliche Hausmacht geschaffen, was die Gründung der Neustadt ermöglichte.

Der Katzenbrunnen (A) am Neustädter Markt mit dem Nachtwächter und den vier, ihn mit Wasser anspeienden Katzen, wurde 1913 von dem Bankier Leeser gestiftet.

Max Leeser gründete 1886 die Hildesheimer Bank. 1887 wurde das Bankhaus am heutigen Angoulemeplatz (damals Bankplatz) errichtet. 1928 fusionierte die Hildesheimer Bank mit der Deutschen Bank, die das Bankhaus als Filiale übernahm.

Der von Leeser gestiftete Brunnen ersetze einen Laufbrunnen (der ständig Wasser zur Versorgung von Menschen und Tieren abgibt, also ständig „läuft“) von 1848, der das vom Galgenberg kommende Wasser auch auf andere Laufbrunnen der Neustadt verteilte.

Die Nachtwächterfigur des Brunnens ist eine bronzene Nachbildung, die der Rotary Club Hildesheim 1976 finanziert hat. Die Originalfigur wurde im 2. Weltkrieg als sogen. Metallspende eingeschmolzen. Als Rohstoffe für die Rüstungsindustrie knapp wurden, mussten Buntmetallgegenstände abgeliefert werden. Neben Figuren wurden auch die Kirchenglocken beschlagnahmt und eingeschmolzen. Das war im 2. Weltkrieg so und auch schon im 1. Weltkrieg.

Die Lambertikirche (1) ist um 1300 als zweitürmige Kirche auf dem Siegel der Neustadt abgebildet. Das war der Vorgängerbau, der als kreuzförmige romanische Basilika der gleichaltrigen Godehardkirche ähnlich war.

Taufbecken der Lambertikirche

Die Grundsteinlegung für den Neubau erfolgt 1474 und es brauchte 30 Jahre bis zur Fertigstellung. Nicht lange danach, 1542, wurde die Pfarrkirche der Neustadt evangelisch. Johannes Bugenhagen, Reformator und Weggefährte Martin Luthers (Bugenhagen traute Martin Luther mit Katharina von Bora und hielt nach Luthers Tod die Grabrede), hatte die evangelische Religion nach Hildesheim gebracht. Er schrieb auch die Kirchenordnung für Hildesheim und mehrere andere Städte in Norddeutschland. Der Dom und die Klosterkirchen blieben aber katholisch.

Die spätgotische Lambertikirche ist die einzige Hallenkirche in Hildesheim. Geweiht wurde sie dem Heiligen Lambert von Lüttich (635 – 705), der als Heiliger verehrt wurde. 

Die Hildesheimer Neustadt ist wegen der noch erhalten gebliebenen Fachwerkhäuser, die nicht beim Luftangriff 1945 und den nachfolgenden Brand zerstört wurden, interessant. Wir gehen vom Neustädter Markt durch die Knollenstraße und die Keßlerstraße zum Kehrwiederwall mit dem Kehrwiederturm und dann den Lappenberg und den Gelben Stern zur Godehardikirche. 

Markantes Haus in der Knollenstraße (2).
Die breite Einfahrt deutet auf ein Ackerbürgerhaus hin.
1789 erbaut und 1897 um ein weiteres Obergeschoss erhöht.
 

Die Keßlerstraße war die Straße der Kesselflicker (die metallenes Kochgeschirr reparierten). Von der Keßlersstraße aus wurde die Hildesheimer Dompropstei verwaltet. Schon seit Mitte des 16. Jahrhunderts hatte der Dompropst Graf Otto von Schulenburg in der Keßlerstraße eine Dompropstei (3) errichtet. Im Dreißigjährigen Krieg wurde das Gebäude zerstört. Nach dem Krieg wurde das heutige Gebäude auf den Grundmauern des Vorgängergebäudes gebaut. Nach der Säkularisierung erwarb 1804 ein Graf von Wedell das Haus für eine Freimaurer-Loge. 

Ehemalige Dompropstei


Der Kehrwiederturm (4) war ein Wehrturm der Neustädter Stadtbefestigung. Als Hohnser Tor (nach dem in der Nähe gelegenen Dorfes Hohnsen, die Straße Hohnsen erinnert daran) wurde er um 1300 gebaut. Der Name „Kehrwieder“ entstand in Anlehnung an die Kehre des Stadtwalls an dieser Stelle. Eine andere Namensdeutung geht von einer Sage aus, nach der die Glocke des Turms (die später zur Lambertikirche kam) einem Mädchen, das sich im nahen Wald verlaufen hatte, den Weg zurück zur Stadt wies. 

Kehrwiederturm

Am Lappenberg kommen wir an dem Denkmal für die 1938 von den Nazis niedergebrannte Jüdische Synagoge (6) vorbei. Die Synagoge war 1849 eingeweiht worden. Der Rat der Stadt hatte der jüdischen Gemeinde ein Grundstück auf dem Lappenberg in Erbpacht überlassen. Davor nutzte die jüdische Gemeinde 200 Jahre lang ein Hinterhaus am Lappenberg für ihren Gottesdienst.

Denkmal für die Synagoge

Erst 1842 wurden die Juden in Hildesheim den Bürgern gleichgestellt. Bis dahin mussten sie einen bischöflichen Schutzbrief erwerben (sogen. Schutzjuden), der zunächst auf Lebenszeit ausgestellt wurde, später alle 15 bis 20 Jahre erneuert und bezahlt werden musste. Staats- und Gemeindeämter waren ihnen aber noch bis 1848 verwehrt.


Der Name Lappenberg deutet darauf hin, dass hier im Mittelalter ein Schutt- und Müllablageplatz war. Die „Lumpenplätze“ wurden mit Lumpenpfählen gekennzeichnet (die vor fast allen Stadttoren standen). Seit Mitte des 16. Jahrhunderts war der Lappenberg bei St. Godehard das Wohngebiet für Neustädter Juden. 

Die Straße Gelber Stern (7), auf die die Lappenberg-Straße stößt, hat nichts mit dem Davidstern zu tun, Juden haben hier nicht gewohnt. Vielmehr ist es eine Namensentwicklung aus „Geiler Stert“, wie die Straße im 17. Jahrhundert hieß. Stert ist im Mittelniederdeutsch der Schwanz und die Reiseführerin deutete an, dass es sich hier um so etwas wie ein „Rotlichtviertel“ gehandelt haben könnte. Aber einen offiziellen Straßennamen mit solcher Bedeutung wird es auch in früheren Jahrhunderten nicht gegeben haben. 

Die Godehardikirche (8) liegt am Rand der Altstadt von Hildesheim, nahe dem Kehrwiederwall und der Neustadt. Die Kirche ist dem heiligen Godehard geweiht, der von 1022 bis 1038 Bischof von Hildesheim war. Im vergangenen Jahr wurde im Bistum Hildesheim das 1000jährige Jubiläum der Priesterweihe gefeiert. 

Godehardikirche vom Kehrwiederwall aus gesehen

Godehard war schon in jungen Jahren Abt mehrerer Benediktiner-Klöster. 1022 wurde er auf der Pfalz Gronau bei Göttingen von Kaiser Heinrich II. (Herzog von Bayern, König des Ostfrankenreiches und von Italien, Kaiser des Römischen Reiches bis 1024) zum Bischof von Hildesheim berufen. 1038 starb er in dem von ihm gegründeten Mauritiusstift (am Moritzberg) und wurde im Dom beigesetzt. 1131 wurde er vom Papst heiliggesprochen. Er war der erste Heilige des Bistums Hildesheim.


Das Nordwest-Portal mit dem Portal-Bogenfeld (Tympanon)
Christus in der Mitte, flankiert von den Bischöfen Godehard und
 Epiphanius.An der Außenseite ist eine Kopie, im Inneren das Original.

Zu Ehren von Godehard ließ Bischof Bernhard von 1133 bis 1172 die Godehardikirche und das Benediktinerkloster bauen. Kloster und Klosterkirche blieben auch nach der Reformation (im Gegensatz zu den Pfarrkirchen der Stadt) katholisch. Mit der Säkularisation durch den Reichsdeputationshauptschluss 1803 wurde das Kloster aufgelöst. Die Ländereien und das Vermögen des Klosters gingen an das Königreich Hannover, das es dem Hannoverschen Klosterfonds übergab.
 

Der Reichsdeputationshauptschluss war der letzte Beschluss des Immerwährenden Reichstags (Versammlung der Reichsstände) des Heiligen Römischen Reiches (1806 wurde das Reich aufgelöst). In dem Beschluss, der auf Druck Napoleons zustande kam, wurde festgelegt, dass die weltlichen Fürsten des Reiches für linksrheinische Gebietsverluste (die an Frankreich gingen) abgefunden werden sollten. Das geschah durch Säkularisierung (Auflösung und Enteignung von Kirchen- und Klosterbesitz) und Medialisierung (Auflösung und Zuordnung kleinerer Adels-Territorien und Reichsstädte zu größeren Fürstentümern, wobei das Eigentum bestehen blieb).

 

Der Klosterfonds wird von der Klosterkammer Hannover verwaltet. Er wurde schon in der Zeit der Reformation im damaligen Fürstentum Calenberg-Göttingen begründet. Die Klosterkammer und das Sondervermögen blieben auch in preußischer Zeit erhalten. Die Klosterkammer hat zahlreiche ehemalige Stifts- und Klosterkirchen in ihrem Besitz, die von der katholischen und evangelischen Kirche genutzt werden. Mit den Vermögensübereignungen hat die Klosterkammer auch Leistungsverpflichtungen unterschiedlichster Art übernommen (Erhaltung von Kirchen- und Klostergebäuden bis hin zur Kostenübernahme für bestimmte Kirchengemeinden).

Auch die Godehardikirche ging an den Hannoverschen Klosterfonds. Teile der Klostergebäude wurden ein Gefängnis, das bis heute besteht (Abteilung Hildesheim der Justizvollzugsanstalt für Frauen in Vechta). Außerdem ist die Norddeutsche Fachhochschule für Rechtspflegen in den Räumen des ehemaligen Klosters untergebracht. Die Kirche wurde nach kurzer Fremdnutzung (als Magazin) 1815 der Kirchengemeinde überlassen

Im 2. Weltkrieg wurde die Kirche im Gegensatz zum Dom und der Michaeliskirche kaum beschädigt. Manche Hildesheimer meinen darum, dass eigentlich die Godehardikirche das eigentliche Weltkulturerbe Hildesheims sei (das sind der Dom und die Michaeliskirche). 

1963 wurde St. Godehard als Basilica minor ausgezeichnet. 

Seit dem 18. Jahrhundert zeichnet der Papst bedeutende Kirchengebäude als Basilica minor aus.  Als Kennzeichen können die Kirchen die gekreuzten Schlüsse des Papstwappens und das Wappen des verleihenden Papstes anbringen. Im Bistum Hildesheim wurden außer St. Godehard noch 2 weitere Kirchen (in Hannover und Duderstadt) ausgezeichnet. 

Radleuchter über dem Hauptaltar.
Gestiftet von Königin Marie von Hannover. (Die Marienburg bei Nordstemmen war ein Geburtstagsgeschenk ihres Mannes, Georg V. von Hannover. Er war der letzte König von Hannover. Preußen annektierte 1866 das Königreich.)


Chorraum der Basilika

Deckenausmalung aus der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts
(die Basilika wurde nach der Säkularisierung als Pfarrkirche
genutzt und umfassend instandgesetzt und teilweise umgestaltet)

Der Fußboden wurde in Gipsestrichtechnik gestaltet.
Es ist eine alte Technik, die im 12. Jahrhundert angewandt wurde, u.a. auch im Dom. In die Estrichoberfläche werden Zeichnungen und Vertiefungen eingeritzt, die mit  eingefärbtem Mörtel ausgefüllt und glattgeschliffen werden.

Die Klosterpforte.

Von der Godehardikirche sind wir noch einmal durch das Fachwerkviertel (Hinterer Brühl – der Straßenname Brühl bezeichnet ein sumpfiges Gelände ) gegangen, am Bernwardskrankenhaus vorbei zum Dom.

Am Hinteren Brühl

Das Wernersche Haus (9) im Hinteren Brühl stammt von 1606 und ist nach seinem Erbauer, dem bischöflichen Sekretär Philip Werner, benannt. Es ist ein typisches Renaissance-Fachwerkhaus seiner Zeit, mit zahlreichen Schnitzwerken an der Fassade. 

Wernersches Haus

Vier Brüstungsbilder versinnbildlichen Hoffnung (Spes), Glaube (Fides), Nächstenliebe (Caritas) und Geduld (Patientia):





Wir kommen an einem ehemaligen Dominikanerkloster vorbei, das in der 1. Hälfte des 13. Jahrhunderts an der damaligen Südostmauer der Altstadt (heute Neue Straße) gegründet wurde. Das Dominikaner-Kloster wurde in der Reformationszeit aufgelöst und die Klosterkirche St. Paulus wurde eine evangelische Pfarrkirche, die 1806 entwidmet wurde. Sie wurde Exerzierhaus, Kornspeicher, städtische Festhalle. 
Durch Zerstörung im 2. Weltkrieg blieben nur die Umfassungsmauern stehen. In den 1970er Jahren baute der Orden der barmherzigen Schwestern des hl. Vinzenz von Paul ein Altenheim (10) unter Beibehaltung der äußeren Gebäudestruktur. 

St. Paulus

Gleich nebenan haben die Barmherzigen Schwestern ihr Mutterhaus (11). 1857 wurde die Hildesheimer Kongregation gegründet, deren erste Schwestern aus Paderborn kamen (der Ursprung des Ordens ist im Elsass). Der Tätigkeitsschwerpunkt des Ordens lag und liegt in der Alten- und Krankenpflege. 

                Ich erinnere mich. Ein Mädchen aus der Nachbarschaft, älter als 
               ich, war Nonne der Barmherzigen Schwerstern im Mutterhaus, 
               neben dem Bernwardskrankenhaus gelegen.

Schon 1852 wurde das St. Bernward Krankenhaus (12) auf bischöfliche Initiative von Paderbornern Vinzentinerinnen gegründet (noch vor der Gründung der selbständigen Hildesheimer Kongregation). Die ersten Krankenzimmer wurden im Südflügel des ehemaligen Klosters eingerichtet. Das Kloster war ein Kartäuser Kloster mit bewegter Geschichte. Einziges noch erhaltenes Zeugnis des Klosters ist das Barockportal mit der Strahlenmadonna mit zwei Figuren an ihrer Seite: Johannes der Täufer und der Heilige Bruno von Köln, der Gründer des Karthäuser Ordens.

Das alte Klosterportal am Bernwards-Krankenhaus


Der Kartäuser Orden wurde in der Gebirgsgegend Charteuse bei Grenoble in Frankreich gegründet. La Grande Charteuse (Große Kartause) entstand um 1100 als Mutterkloster des Ordens. 

Das Hildesheimer Kartäuser Kloster wurde 1388 gestiftet. Es lag außerhalb der Stadt vor dem Dammtor auf dem Grund und Boden der Herren von Rössing (Rittergut Rössing, heute Gemeinde Nordstemmen). Nachdem der Rat der Stadt Hildesheim die Reformation eingeführt hatte, verließen die Kartäuser-Mönche das Kloster. Der Klosterschatz ging an den Stadtrat. Das Kloster wurde mehrere Male wiederbelebt und wieder zerstört. Im 17. Jahrhundert wurde es zum besseren Schutz der Gebäude in die Stadt verlegt, an die Stelle des heutigen Bernward-Krankenhauses. 1777 wurde das Kloster durch den Hildesheimer Fürstbischof aufgelöst und das Vermögen zur Verbesserung der Einkünfte des Priesterseminars bestimmt. In das Gebäude kam zunächst das Priesterseminar, dann wurde es als Armenanstalt und Armenschule genutzt, bis Teile 1852 zum Krankenhaus wurden. 

Wir gehen auf dem schmalen Weg Stinekenpforte (stinkende Pforte) (13) auf den Domhof. Hier flossen in früherer Zeit die Abwässer des Domhofs in die damals noch offene Treibe (Ende des 19. Jahrhunderts kanalisiert, Verlauf unter der Treibestraße). 

Den Dom wollen wir heute nicht besichtigen, sondern nur einen Blick auf den 1000jährigen Rosenstock (14) werfen, der gerade und nur eine kurze Zeit blüht. Der Sage nach hatte Kaiser Ludwig der Fromme (Sohn und Nachfolger Karls des Großen) im Jahr 815 bei einem Jagdausflug eine Erscheinung und sah sein Brustkreuz an einem Rosenstrauch hängen. Er ließ an der Stelle eine Kapelle errichten, der Ursprung des Hildesheimer Marien-Doms.

Der 1000jährige Rosenstock


Karl der Große errichtete in Elze (bei Hildesheim) um 800 herum das Missionsbistum für Ostfalen (Ostfalen war der östliche Teil des Stammesherzogtums Sachsen, mit Lüneburg, Hildesheim, Magdeburg, Merseburg. In der Mitte des Herzogtums lag Engern und Westfalen bildete den westlichen Teil). In den Sachsenkriegen hat Karl der Große (König des Fränkischen Reiches und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches) den Stammesverband der Sachsen besiegt und (gewaltsam) christianisiert.

 

Ludwig der Fromme verlegte 815 (das Jahr der Rosenstock-Erscheinung) das Bistum nach Hildesheim. Wahrscheinlich war die strategische Lage auf einem Hügel am Übergang des Hellwegs (Heerweg, Ost-West-Handelsweg, etwa der Verlauf der Bundesstraße B 1) über die Innerste eher ausschlaggebend für die Standortwahl als die Rosenstock-Erscheinung.


Im Jahr 872 wurde der erste Dom errichtet (der Altfrid-Dom, Altfrid war der damalige Bischof, er gründete auch das Stift Essen, die Keimzelle der Stadt Essen). Der Altfried-Dom und jüngere Marktsiedlung um die Andreaskirche sind die Keimzelle Hildesheims.

 

Der Grundriss des Altfrid-Doms als dreischiffige Basilika auf einem Kreuzgrundriss ist bis heute erhalten. Bischof Bernward stattete den Dom mit der berühmten Bernwardstür und der Christussäule aus. Er ließ auch eine neue Wehrmauer um einen vergrößerten Dombezirk mit 12 (eher symbolischen) Wehrtürmen errichten (Mauer und Wehrtürme sind bis auf Reste nicht mehr erhalten). Im 2. Weltkrieg wurde der Dom stark beschädigt, bis 1960 wiederaufgebaut. 

Die Stadtführerin hatte uns den Tipp gegeben, dass wir auch über das Dom-Museum zum Rosenstock gelangen könnten (gegenüber der St. Annen Kapelle), denn im Dom war gerade ein Gottesdienst. Also Foto-Termin am Rosenstock und ein kurzer Gang über den Domhof, vorbei am katholischen Gymnasium Josephinum (15), das jetzt „Mariano-Josephinum“ heißt, weil das Josephinum mit der Marienschule zusammengelegt wurde


Das Josephinum ist eine der ältesten Schulen in Deutschland. Hervorgegangen ist es aus der Domschule des Hildesheimer Doms. Schon Karl der Große hatte bestimmt, dass an allen Bischofskirchen eine Schule errichtet werden sollte. Aus den Domschulen ging die Elite des Reiches hervor. 

Das Marianum-Josephhinum

Durch die Stinekenpforte sind wir in den Domhof (auch Domburg wegen der ursprünglichen Ummauerung genannt) gegangen und durch das Paulustor (16) haben wir ihn verlassen. Schlegels-Weinstuben (B), in dem wir unser Klassentreffen-Abschluss hatten, lag „fast um die Ecke“, an der Westseite des Roemer- und Pelizaeus-Museums. Die Weinstube ist aus drei nebeneinander stehenden Fachwerkhäusern von 1540 entstanden, die bei der Zerstörung der Hildesheimer Altstadt 1945 verschont wurden (wie die Fachwerkhäuser, die wir bei unserem Rundgang gesehen haben).



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