Beelitz-Heilstätten

August 2025 


Beelitz ist eine kleinere Stadt südwestlich von Berlin. Bekannt ist Beelitz durch den Spargelanbau – das Gebiet um Beelitz soll die größte geschlossene Anbauregion in Deutschland sein – und durch die Beelitzer-Heilstätten für Tuberkulose-Patienten. Die haben wir – Angelika und Andreas und ich – besucht und sind durch die Parkanlage mit den Ruinen der ehemaligen Heilstätten-Häuser gegangen, haben die Besichtigungstour durch drei Gebäude gemacht und sind auf dem Baumkronenpfad über die Häuser gegangen.

Der Teil der Beelitzer-Heilstätten
mit dem Baumwipfel-Pfad

Ende des 19. Jahrhunderts war Tuberkulose Volkskrankheit Nr. 1.


Tuberkulose ist eine bakterielle Infektionskrankheit der Lunge, die unbehandelt zu Gewichtsabnahme – darum auch die Bezeichnung Schwindsucht - und schließlich zum Tod führen kann. Die Bakterien werden über die Luft zum Beispiel durch Nießen und Husten übertragen.

Je enger die Menschen zusammen sind, umso größer ist die Ansteckungsgefahr. Auch Milch von an Tuberkulose erkrankten Kühen war eine Infektionsquelle. Darum wird Milch grundsätzlich pasteurisiert (kurzzeitige Erhitzung; benannt nach dem französischen Chemiker Louis Pasteur, der das Verfahren entwickelte).

 

Den Erreger der Tuberkulose entdeckte Robert Koch 1882 (er erhielt dafür 1905 den Nobelpreis für Medizin). Ein Mittel zur Bekämpfung der Bakterien fand er aber nicht. Erst 1920/1921 entwickelten die französischen Wissenschaftler Albert Calmette und Camille Guérin einen Tuberkulose-Impfstoff, mit dem Kinder vorbeugend gegen Tuberkulose geimpft wurden (in Deutschland wird die Impfung seit 1998 von der Ständigen Impfkommission nicht mehr empfohlen, da das Infektionsrisiko unter 0,1 Prozent gesunken war).                       

Begünstigt wurde die Verbreitung der Tuberkulose durch die engen Wohnverhältnisse in Berlin und auch in anderen Großstädten. Berlin wuchs zum Beispiel von 1820 bis 1850 von 200.000 Personen auf über 400.000, im Jahr 1880 waren es über 1.100.000. Das führt zu katastrophalen Wohnverhältnissen, zu viel Personen in kleinen Wohnräumen, doppelte Belegung von Schlafplätzen. Die Todesrate stieg durch Tuberkulose rasant an. An Tuberkulose erkrankte Arbeiterinnen und Arbeiter fehlten in den Fabriken. Um 1880 sollen fast 40 Prozent aller Todesfälle unter der arbeitenden Bevölkerung Berlins auf Tuberkulose zurückzuführen sein. 

Medikamente gegen Tuberkulose fehlten. Im schlesischen Riesengebirge wurde 1859 eine erste private Heilanstalt gegen Tuberkulose eröffnet. Die Therapie bestand aus einer Luftkur bei guter Ernährung und penibler Reinlichkeit. So gab es für den Hustenauswurf spezielle Spuckfläschchen. 

Den privaten Heilanstalten folgten Volksheilstätten. 1889 wurde mit dem Invalidensicherungsgesetz den Landesversicherungsanstalten erlaubt, vorbeugende Heilbehandlungen durchzuführen und entsprechende Einrichtungen aufzubauen. Im Jahr 1908 gab es im Deutschen Reich bereits 99 Heilstätten mit über 10.000 Betten. 

           Im Jahr 1890 wurden in allen deutschen Bundesstaaten 31

Versicherungsanstalten gegründet. Sie erhoben Beiträge, zahlten die Renten und gewährten die Heilbehandlungen in ihrem Zuständigkeitsgebiet. Grundlage der Gründungen war das 1889 vom Reichstag des Deutschen Reiches auf Antrag des Reichskanzlers Otto von Bismarck verabschiedete „Gesetz betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung“. Schon sechs Jahre vorher wurde die gesetzliche Krankenversicherung gegründet und fünf Jahre vorher die Unfallversicherung (Bismarck’sche Sozialgesetze).

Die Landesversicherungsanstalten wurden von den Beitragszahlern, den Versicherten und deren Arbeitgeber, selbstverwaltet. Ein Ausschuss (heute die Vertreterversammlung) und der Vorstand wurden von den Vertretern der Versicherten und Arbeitgeber gewählt. 

Ab 1889 errichtete die Landesversicherungsanstalt Berlin (Bauzeit bis 1930) die Arbeiter-Lungenheilstätten in Beelitz. 60 Gebäude wurden auf einer 200 Hektar großen Fläche gebaut. Das Gelände lag in einem großen Waldgebiet (gute Luft) und an der Bahnstrecke nach Berlin (gute Erreichbarkeit). Nördlich der Eisenbahntrasse entstand die Lungenheilstätte, im südlichen Bereich waren die Sanatorien für nicht ansteckende Krankheiten. 

Wie damals üblich, wurden die Frauen und Männer getrennt untergebracht und behandelt. Westlich der Landstraße waren Gebäude für Frauen, östlich davon die für Männer. Die Geschlechtertrennung wurde auch bei den Wirtschaftsgebäuden eingehalten. Die Küchengebäude und Waschhäuser, in denen überwiegend Frauen arbeiteten, lagen auf der westlichen Seite. Die Werkstätten, das Heizhaus und der Fuhrpark mit überwiegend männlichen Beschäftigten waren auf der östlichen Seite angesiedelt. 

Die Beelitz-Heilstätten waren in vier Quadranten aufgeteilt,
durchschnitten von der Bahntrasse und der Landstraße.

Das Heilstätten-Areal war in vier Quadranten unterteilt, die jeweils ein eigenes Pförtnerhaus hatten. Das bedeutete, dass die Areale alle eingezäunt waren. Das Areal A (nördlich der Bahnlinie, westlich der Landstraße) war der Frauenbereich mit den Frauen-Lungenheilgebäuden. Gegenüber (nördlich der Bahnlinie, östlich der Landstraße) war der Quadrant B, der Männerbereich mit den Männer-Lungenheilgebäuden. Die Patientenzimmer waren alle nach Süden ausgerichtet, hoch und lichtdurchflutet. Zu den Heilgebäuden gehörten überdachte, offene Liegehallen.  Die Heilkur bestand aus Schlafen, Essen und Ruhen. 3.400 Kilokalorien hatten die täglich fünf Mahlzeiten während der Kur. Der Normalverbrauch liegt bei 1.900 bis 2.400 Kilokalorien. 

Wochenspeiseplan Januar 1908

Südlich der Bahntrasse waren die Quadranten D (westlich der Landstraße) und C (östlich der Landstraße). Hier befanden sich das Frauen-Sanatorium (D) und das Männer-Sanatorium (C) für die leichteren Tuberkulose-Fälle. Im Bereich C waren auch die Werkstätten, Bäckerei und Schlachterei und andere Funktionsräume. Die Wäscherei war im Bereich D. Zwei landwirtschaftliche Güter außerhalb von Beelitz lieferten täglich frisches Gemüse, Milch und andere Lebensmittel. 


Die historischen Gebäude
in den Quadranten A bis D

Das Heiz- und Maschinenhaus mit seinem weithin sichtbaren Wasserturm (Quadrant C) hatte eine moderne Kraft-Wärme-Kopplung. Der in den Heizkesseln erzeugte Dampf wurde zum Antrieb von Stromgeneratoren der Firma Borsig und für die Gebäudeheizung genutzt. Über ein 10 Kilometer langes unterirdisches Kanalnetz wurden alle Gebäude mit Wärme und Strom sowie Trink- und Warmwasser versorgt. 


Die Kraft-Wärme-Kopplung war zu seiner Zeit sehr fortschrittlich. Eine umfassende Förderung der energieeffizienten Wärme- und Stromerzeugung wurde in Deutschland mit dem Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz 2002 begonnen. 

Während des 1. Weltkriegs und später auch im 2. Weltkrieg wurden die Gebäude als Militärlazarett genutzt. Nach dem 2. Weltkrieg übernahm die Sowjetarmee das Heilstättengelände als Militärhospital. Bis 1994 war es das größte sowjetische Militärkrankenhaus außerhalb der UdSSR. Nach dem Abzug der Sowjetsoldaten wurden die Gebäude geplündert und wahllos zerstört. 

Die Berliner Landesversicherungsanstalt erhielt das Areal rückübertragen, wollte es aber nicht übernehmen oder selber entwickeln und verkaufte es 1995 an eine Tochtergesellschaft der Unternehmensgruppe Roland Ernst. Im Jahr 2000 musste Roland Ernst Insolvenz anmelden. Erst 2008 übernahmen andere Unternehmen das Gelände. 

Baumkronenpfad über Ruinen

Auf dem Quadranten A hat die HPG Projektentwicklungsgesellschaft Beelitz von Beate und Hans-Georg Hoffmann einen Baumkronenpfad aufgebaut. 2015 wurde der erste Abschnitt eröffnet, der 2020 auf eine Länge von 700 Metern erweitert wurde. Er führt über die historischen Gebäude und an ihnen vorbei. Der höchste Punkt ist die Terrasse des Aussichtsturms mit über 40 Metern.

Der Aussichtsturm des Baumwipfel-Pfades

Der Pfad führt am Alpenhaus vorbei

Die Ruine des Alpenhauses mit dem Stahlskelett des Wassertanks.
Das  "Alpenhaus" war das Frauen-Lungenheilgebäude für 273 Patienten.
Alpenhaus wurde das Gebäude genannt, weil in der Nähe kleine Berge aus dem Erdaushub der Bauarbeiten entstanden, die scherzhaft als "Beelitzer Alpen" bezeichnet wurden.

Am Pfad sind Erläuterungen zu den unterschiedlichen Baum- und Straucharten angebracht

Ganz schön hoch

mit schönem Überblick

über das Heilstätten-Gelände

Die ehemalige Chirurgie ist mit Balkonblumen dekoriert

Führung durch drei Gebäude

Die Gebäuderuinen wurden gesichert. Es gibt verschiedene Führungen. Wir haben die Führung durch drei Gebäude gebucht und uns die Koch-Küche, die Wasch-Küche und den Frauenpavillon angesehen. Andere Führungen gehen durch die Ruine des Alpenhauses und die der Chirurgie. 

Das Gebäude der Koch-Küche

Den Luftabzug der Kochherde ist von den Metalldiebstählen verschont geblieben

Überbleibsel aus sowjetischer und deutscher Zeit

Das Waschküchen-Gebäude

Nach 1930 wurden im Waschküchen-Gebäude 
Forschungs-Lehrräume eingerichtet.
Hier der Hörsaal.

Das Frauen-Lungenheilgebäude (Frauenpavillon)

Detailansichten


Liegeterrasse des Frauenpavillons für die schwerer erkrankten Patienten

Helle und hohe Räume

Baderaum und was davon geblieben ist.
In den Resten der Liegehallen vor den Krankengebäuden
werden in einer Ausstellung Fotos der historischen Gebäude gezeigt.

Das neue Quartier

Im Quadrant C (südlich der Bahnlinie und östlich der Landstraße) mit dem Bahnhofsgelände und dem historischen Wasserturm wurde und wird ein Wohngebiet entwickelt. 


Im Quadrant B (gegenüber dem Baumkronenpfad) entstand u.a. eine neurologische Rehaklinik. Der Landkreis hat ein Feuerwehrtechnisches Zentrum eingerichtet. 


Das ehemalige Desinfektionshaues ist jetzt das Landhotel Gustav.
Der Großvater des Bauunternehmers Thomas Schielke 
hatte das Haus 1905 mit gebaut. Als der Enkel 1995 den Abrissauftrag erhielt,
entschied er sich für die Erhaltung, seines Großvaters wegen.

Im Männer-Lungenheilgebäude ist jetzt eine Neurologische Fachklinik
(Die Ruine des Frauen-Lungenheilgebäudes auf der anderen Seite der Landstraße haben wir besichtigt)

Im Quadrant D (südlich der Bahntrasse und westlich der Landstraße) wurden in den historischen Gebäuden Eigentumswohnungen errichtet und ein Wohngebiet entwickelt. 


Die Entwicklung des Heilstätten-Quartiers ist noch nicht abgeschlossen. Seit 2024 ist Beelitz-Heilstätten ein neuer Ortsteil der Stadt mit 1800 Einwohnern geworden. Weitere Wohnungsbauten sind in der Planung. 3000 Einwohner und 1000 Arbeitsplätze sollen es werden.


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